Wie läuft eine Zusammenarbeit im Lektorat ab?

Blick über die Trave auf die Lübecker Altstadt

Wer das erste Mal ein Manuskript lektorieren lassen möchte, muss eventuell  eine Hemmschwelle überwinden, um Kontakt aufzunehmen. Denn was kommt da auf einen zu? Wie funktioniert eine Zusammenarbeit im Lektorat?

Der erste Kontakt

Meistens bekomme ich Anfragen per E-Mail. Theoretisch könnt ihr auch anrufen, aber wenn ich mitten in einem Auftrag stecke, lasse ich mich ungern vom Telefon aus dem Flow reißen. Außerdem hatte ich schon mehrere Scam-Anrufe.1Für den Enkeltrick bin ich zu jung, aber es gibt auch andere Maschen.

Am besten ist es, wenn ihr direkt so viele Details wie möglich liefert: Genre, Inhalt in zwei bis drei Sätzen, Anzahl der Normseiten und in welchem Zeitraum ihr das Lektorat erledigt haben wollt. Dann kann ich schnell einschätzen, ob ich die richtige Lektorin für euer Projekt bin.

Einige Kolleg*innen bestehen in der Phase auf ein Kennenlerngespräch per Telefon oder online. Ich biete das machmal an, gerade bei größeren Projekten. Ihr könnt mich danach fragen, wenn euch das für eine persönliche Zusammenarbeit wichtig ist, dann vereinbaren wir einen Termin.

Im nächsten Schritt einigen wir uns. Wir sprechen ab, wie intensiv ich das Lektorat durchführen soll und ob ich mein Augenmerk auf irgendetwas besonders richten soll,  z. B. darauf, ob die gruselige Stimmung gut eingefangen ist. Und wir legen ein Honorar fest.

Aber was passiert dann?

Die klassische Zusammenarbeit im Lektorat

Die klassische Zusammenarbeit beinhaltet den geringsten direkten Austausch zwischen meinen Kund*innen und mir.

Nachdem ich euren Text erhalten habe, mache ich einen ersten Durchgang des Lektorats, in dem ich auf Struktur und Inhalt achte. Gibt es Handlungsfäden, die nie aufgelöst werden? Ist der Showdown dramatisch genug? Ihr bekommt den Text mit meinen Anmerkungen zurück, arbeitet sie ein oder lehnt sie ab und gebt mir den Text wieder. Im zweiten Durchgang achte ich auf Stil und Sprache. Quillt der Text von Adjektiven und Adverbien über? Hören sich alle Charaktere gleich an, wenn sie reden?

Ich greife teilweise in den Text ein, streiche einzelne Wörter oder auch ganze Absätze, die aus meiner Sicht überflüssig sind, und formuliere kleinere Stellen um. Vor allem aber nutze ich die Kommentarfunktion. Darüber erläutere ich, warum ich eine Szene streichen würde oder mich die Entwicklung der Handlung nicht überzeugt. Mir ist es wichtig, dass ihr nachvollziehen könnt, warum ich Änderungen vorschlage.

Während beider Durchgänge bemühe ich mich, zwischendurch Rückmeldung zum aktuellen Stand zu geben. Oft ergeben sich auch Fragen, die ich klären will. Die Kommunikation läuft meist über E-Mail.

Was ist, wenn diese Art des Lektorats nicht zu euch passt? Es geht auch anders – mit persönlichen Treffen, Beratung per Telefon, Brainstorming per Videokonferenz und Online-Whiteboard zum Sammeln der Ideen etc.

Die Zusammenarbeit vor Ort

Eine sehr bereichernde Zusammenarbeit ergab sich 2021 mit Alice Moustier für ihr Buch „Scheitern als Businessbeschleuniger“, das sie gemeinsam mit Christian Dräger, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Drägerwerks, verfasst hat und das vor Kurzem erschienen ist.

Blick über die Trave auf die Lübecker AltstadtSie rief bei mir an, weil es ihr nicht recht gelang, das Material, das sie in Interviews mit Christian Dräger gesammelt hatte, in eine strukturierte Form zu bringen. Schnell waren wir uns einig, gemeinsam am Aufbau des Buches zu arbeiten. Alice Moustier lud mich ein, dafür ein verlängertes Wochenende zu ihr nach Lübeck zu kommen. Ich sagte zu, nahm meinen Freund mit und verbrachte so im Grunde meine erste Workation.2Auch wenn ich das Wort damals noch nicht kannte. Tagsüber arbeiteten wir bei frühsommerlichen Temperaturen in einem sonnigen Innenhof, ab dem späten Nachmittag zeigte sie uns Lübeck.

Das Interessante ist, dass Alice Moustier und ich gegensätzliche Persönlichkeiten sind, uns aber hervorragend ergänzt haben.

Bei dieser Zusammenarbeit habe ich gemerkt, wie inspirierend es ist, zu zweit zu brainstormen, Ideen zu diskutieren und zu ordnen und wie viel Kreativität dadurch freigesetzt wird. Seitdem führe ich solche Gespräche gern mit Kund*innen durch, weil auch ich noch mal auf ganz andere Vorschläge komme, als wenn ich allein an einem Text sitze.

Die Zusammenarbeit über Anrufe

Treffen sind jedoch eher selten. Meine Kund*innen stammten bisher schließlich aus ganz Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Aber auch Anrufe eignen sich gut, um miteinander ein Manuskript zu bearbeiten.

Eine Kundin hatte einen starken Anfang für einen historischen Roman, ein interessantes Setting und interessante Figuren, aber dem zweiten Akt fehlte der Schwung und der rote Faden. Daran haben wir in mehreren wöchentlichen Videocalls gearbeitet.

Ein anderer Kunde wollte, glaube ich, vor allem telefonieren, um beim Lautdenken seine Gedanken zu sortieren, denn ich kam selten zu Wort. Am Ende war er immer recht zufrieden mit dem, was er sich überlegt hatte, und schlug vor, aufzulegen, und ich fragte dann, ob ihn auch meine Meinung interessiert. 🙂

Was ist das Richtige für euch?

Macht euch daher Gedanken, wie ihr tickt oder was für die Schwierigkeiten, die ihr habt, die beste Herangehensweise ist. Vielleicht helfen euch Telefonate/Videokonferenzen zur gemeinsamen Lösungssuche bei Problemen viel mehr als eine überarbeitete Version eures Manuskripts zurückzuerhalten. Ich bin auch offen für neue Arten der Zusammenarbeit im Lektorat, an die ich bisher vielleicht nicht einmal gedacht habe. Behaltet im Hinterkopf, dass es nicht die eine Art gibt, ein Lektorat durchführen zu lassen. Ihr wollt für euer Geld am Ende schließlich ein Ergebnis haben, mit dem ihr etwas anfangen könnt.

„Bis wir uns fanden. Japans erstes schwules Ehepaar“

Cover des Mangas "Bis wir uns fanden. Japans erstes schwules Ehepaar", das zwei sich umarmende Männer zeigt.

Cover des Mangas "Bis wir uns fanden. Japans erstes schwules Ehepaar", das zwei sich umarmende Männer zeigt.Lange glaubte Ryousuke Nanasaki, es müsse eine Strafe sein, dass er schwul geboren war. Das schreibt er zu Beginn des autobiografischen Mangas „Bis wir uns fanden. Japans erstes schwules Ehepaar“ (erschienen 2022 bei HAYABUSA, einem Carlsen Imprint). Es war ein langer Weg, bis er sich akzeptieren konnte, wie er war. Von diesem Weg erzählt er in dem gleichnamigen Roman als auch in dem darauf basierenden Manga, den ich gelesen habe.

Für seine angeblich feminine Art wird Ryousuke Nanasaki schon als Kind gehänselt und als Jugendlicher als Schwuchtel bezeichnet. Mit aller Macht versucht er, ein „echter“ Junge zu sein. Aber dann verliebt er sich in seinen besten Freund und kann die Augen nicht mehr davor verschließen, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt.

Offen spricht der Autor über schmerzhafte Erfahrungen, peinliche Momente, durch sein „Anderssein“ ausgelöste Depressionen, Versuche, sich in Frauen zu verlieben und das jahrelange Schweigen über seine Homosexualität. Wir dürfen aber auch an den schönen Momenten teilhaben: seinem Coming-out, der Unterstützung, die er in seinem Tokioer Freundeskreis erhält, Datingerfahrungen und Beziehungen und seiner Hochzeit. Denn 2016 heiraten sein Partner und er und sind damit die ersten, die in Japan eine religiös anerkannte gleichgeschlechtliche Ehe eingehen.

„Bis wir uns fanden. Japans erstes schwules Ehepaar“ ist ein Manga, der mich sehr berührt hat. Er hat mir Einblicke in das Leben von jemandem ermöglicht, der Diskriminierung erfahren hat, die ich als heterosexuelle Frau nie erfahren werde. Wie es ist, wenn man sich rund um die Uhr verstellen muss. Wie es ist, mit der ständigen Angst vor Zurückweisung aufgrund der sexuellen Orientierung zu leben. Wie es ist, deshalb reelle Zurückweisung zu erleben. Umso schöner, dass es für den Autor ein Happy End gab.

Ryousuke Nanasaki wurde 1987 in Sapporo in der Präfektur Hokkaido geboren und lebt heute in Tokio. Er ist ein bekannter japanischer LGBT-Aktivist und gründete 2015 eine Hochzeitsagentur für homosexuelle Paare.

10 Klassiker der Literatur, die man nicht lesen muss

Historische Bibliothek mit alten Büchern

Historische Bibliothek mit alten BüchernKennt ihr diese Artikel, in denen euch gesagt wird, welche Klassiker der Literatur ihr gelesen haben solltet? dtv sagt es uns, literaturtipps.de, ntv und viele, viele mehr. Aber welche Klassiker muss man nicht lesen?

Ich könnte die Frage mit einem Satz beantworten – man braucht keinen einzigen gelesen zu haben –, aber das wäre ja langweilig.

Warum sollen wir Klassiker lesen?

Was zeichnet diese Werke aus, dass man sie dreißig, dreihundert oder dreitausend Jahre nach ihrer Entstehung noch gelesen haben soll? Als Gründe werden angeführt:

  • weil sie spätere Schriftsteller bzw. die Gesellschaft als Ganzes stark beeinflusst haben,
  • weil in ihnen innovative neue Schreibtechniken verwendet bzw. perfektioniert werden,
  • weil sie Grundlegendes zu einem wichtigen Thema zu sagen haben und
  • weil man durch sie viel über die Zeit lernen kann, in der die Romane spielen.

Wenn das wahr ist, warum steht dann „Germinal“ von Émile Zola, auf den alle Punkte in einem gewissen Maß zutreffen, nicht auf diesen Listen?1Ein Roman, der uns die entwürdigenden Bedingungen, die in französischen Bergwerken im 19. Jahrhundert herrschten, und die unmenschliche Ausbeutung von Arbeitskräften eindringlich vor Augen führt.

Warum brauchen wir Klassiker nicht zu lesen?

Wir gehen jetzt alle mal kurz in uns und überlegen, warum wir lesen. Privat lese ich:

  • weil ich gut unterhalten werde,
  • weil mich das Thema, das Setting und/oder die Hauptpersonen faszinieren,
  • weil es mir stilistisch und sprachlich gefällt,
  • weil ich die Handlung glaubwürdig, spannend und überraschend finde,
  • weil der Roman Grundlegendes zu einem wichtigen Thema zu sagen hat und
  • weil ich dadurch etwas Neues lerne. Vielleicht über eine mir fremde Kultur oder Zeit, vielleicht aber auch weil ich einen neuen Blickwinkel auf etwas Vertrautes erhalte.

Als Lektorin interessiert es mich beispielsweise außerdem, wie sich Klischees über die Jahrhunderte gewandelt haben oder wie Dialoge im 19. Jahrhundert geschrieben wurden. Darum lese ich manchmal ältere Werke, die ich sonst wohl nicht läse.

Aber mir erschließt sich nicht, warum irgendjemand „Mrs. Dalloway“ von Virginia Woolf lesen sollte, nur weil es als einer der frühesten Romane gilt, in denen der Bewusstseinsstrom eingesetzt wird. Damit man beiläufig erwähnen kann, dass die Verflechtung von Thema und Stil durch den Bewusstseinsstrom in „Mrs. Dalloway“ ausgereifter sei als bei „Schall und Wahn“ von William Faulkner, um so die eigene Intellektualität zu demonstrieren?

Lesen soll aus meiner Sicht als allererstes Spaß machen. Verdirbt euch einer der folgenden Punkte die Freude daran?

  • Altmodische und schwer verständliche Sprache,
  • Stil oder Sprache, die euch nicht gefallen,
  • Weitschweifigkeit,
  • unglaubwürdige Zufälle,
  • unsympathische Hauptfiguren.

Dann sehe ich keinen Grund, warum ihr das Buch trotzdem lesen solltet, nur weil es als Klassiker gilt.

Von der „Ilias“ bis zu „Faust“

Singe den Zorn, o Göttin, des Peleiaden Achilleus,
Ihn, der entbrannt den Achaiern unnennbaren Jammer erregte,
Und viel tapfere Seelen der Heldensöhne zum Aïs
Sendete, aber sie selbst zum Raub darstellte den Hunden,
Und dem Gevögel umher. So ward Zeus Wille vollendet:
Seit dem Tag, als erst durch bitteren Zank sich entzweiten
Atreus Sohn, der Herrscher des Volks, und der edle Achilleus.

Homer: Ilias

Ich möchte beim Lesen eigentlich nicht ein Lexikon zur griechischen Mythologie und eine Interpretationshilfe neben mir liegen haben und nach jeder Zeile etwas nachschlagen, um zu verstehen, worum es geht. Dabei muss ein Klassiker nicht einmal Jahrtausende alt sein, um Verständnisprobleme zu bereiten.

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Johann Wolfgang von Goethe: Faust

Eingängiger als die „Ilias“, aber trotzdem was soll „Die Sonne tönt in Brüdersphären Wettgesang“ bedeuten?

Von „Ulysses“ bis „Der Process“

In dem Youtube-Video „Why you should read James Joyce’s ‚Ulysses‘“ heißt es, dass jedes Kapitel in einem anderen Stil geschrieben ist – als Theaterstück, als spätviktorianischer Liebesroman, als Entwicklung vom Altsächsischen über das mittelalterliche Englisch bis zur Sprache aus Joyce‘ Zeit etc.2Oder dass der Roman gespickt ist mit Anspielungen auf mittelalterliche Philosophie, die Odyssee, die Symbolik von Tatoos usw. Für mich ist das ein Grund, „Ulysses“ nicht zu lesen. Es klingt, als habe Joyce mit seiner Bildung angeben wollen, indem er viele Stile imitiert. Schön für ihn, dass er so belesen war, aber hätte er nicht einfach einen unterhaltsamen Roman schreiben können?

Der Bewusstseinsstrom ist auch ein Stilmittel, dem ich nichts abgewinnen kann, sodass ich Bücher, in denen er genutzt wird, meistens weglege. Ich bewundere dagegen den Stil von Franz Kafka, das Absurde, Traumhafte und gleichzeitig Nüchterne. Sein Einsatz erzeugt in „Der Process“ Beklemmung und verstärkt die Ohnmacht, die der Protagonist gegenüber einer gesichtslosen, scheinbar willkürlich agierenden Institution verspürt. Nur sagt mir genau dieser Stil nicht zu, weshalb es mir schwerfiel, das Buch zu lesen.

Von „Verlorene Illusionen“ bis „Reise um die Erde in 80 Tagen“

Honoré de Balzac, Autor von „Verlorene Illusionen“, ist der Typ, der euch auf einer Party alle fünfzig anwesenden Gäste vorstellt und sich für jeden fünf Minuten Zeit nimmt, in denen ihr alles erfahrt über ihre Herkunft, die Berufe ihres Vaters, Großvaters und Urgroßvaters, ihre Lieblingsfarbe, Namen, Rasse und Verhalten jedes Hundes, den sie besessen haben, alle Kinderkankheiten, die sie hatten, den Zustand ihrer Ehe, ihre Gedanken über die Geranien der Nachbarin sowie eine ausführliche Beschreibung der Kleidung, die sie auf der Party tragen, ergänzt dadurch, wo sie die Kleider gekauft haben und warum sie keins der anderen acht Sommerkleider/-anzüge tragen können, die sie besitzen. Wenn ihr dann völlig erschöpft in den Seilen hängt, erfahrt ihr, dass ihr von allen Anwesenden genau zweien im weiteren Verlauf des Romans wiederbegegnen werdet, eine davon die unsympathische Hauptfigur Lucien Chardon. Danke, Balzac!

Diese Art des ausschweifenden Schreibens ist ein Phänomen früherer Jahrhunderte. Die Handlung kommt kaum voran. Die Charaktere und ihre Vorgeschichte werden nicht durch Aktionen und Dialoge gezeigt, sondern ein (oft auktorialer Erzähler) berichtet sie uns in epischer Breite.

Phileas Fogg trachtete danach, durch nichts und niemandem aufzufallen; und doch zählten ihn seine Zeitgenossen zu den eigenwilligsten und berühmtesten Mitgliedern des Londoner Reform Club. Darüber hinaus wusste man so gut wie nichts von ihm, es sei denn, dass er ein vollkommener Gentleman und eine der elegantesten Erscheinungen der englischen Oberschicht war.

Man sagte ihm eine Ähnlichkeit mit Lord Byron nach – natürlich nur in den Gesichtszügen; denn Mr. Foggs Füße waren tadellos geformt. Vom echten Byron unterschieden ihn auch der modische Schnauz- und Backenbart, aber er trug sich mit derselben erhabenen Gelassenheit wie sein Vorbild, dem sogar 1000 Lebensjahre keine Alterszeit aufgedrückt hätten.

Jules Verne: Reise um die Erde in 80 Tagen

Das war das erste Siebtel der Beschreibung von Phileas Fogg zu Beginn des Romans. Die Vorlieben haben sich aber geändert hin zu einer temporeicheren, szenischeren Erzählweise. Würden „Anna Karenina“ (Lew Tolstoi), „Der Glöckner von Notre-Dame“ (Victor Hugo) oder „Dracula“ (Bram Stoker) heutzutage verfasst, wären sie deutlich kürzer und kompakter. Selbst bei älteren Werken, die ich mag, neige ich dazu, solche Passagen zu überspringen.

Von „Der Glöckner von Notre-Dame“ bis „Oliver Twist“

Auch ein gehäuftes Auftreten zufälliger, unglaubwürdiger Geschehnisse ist ein typisches Phänomen von Romanen des 20. Jahrhunderts. In „Der Glöckner von Notre-Dame“ ist die Verrückte, die auf Esmeralda bis zu ihrer Hinrichtung aufpassen soll, ihre Mutter, der Esmeralda als Kleinkind vor fünfzehn Jahren in Reims gestohlen wurde. Sie erkennt Esmeralda an einem Kinderschuh, den diese bei sich trägt.

In „Oliver Twist“ von Charles Dickens stellt sich heraus, dass Olivers erster Wohltäter, der ihn zufällig und aus reiner Herzensgüte aufnimmt, ein Freund seines verstorbenen Vaters ist, während Olivers zweite Wohltäterin, die sich seiner ebenfalls aus reiner Herzensgüte annimmt, zufälligerweise seine Tante ist.

Dieser Trick wird auch in modernen Geschichten immer noch genutzt, um die Handlung voranzutreiben. Aber durch das höhere Tempo, mehr Spannung und weil es manchmal besser versteckt wird, übersehen wir unlogische Wendungen eher.

Von „Schuld und Sühne“ bis „Berlin Alexanderplatz“

Damit ich einen Roman gerne lese, brauche ich eine Hauptfigur, mit der ich mich identifizieren kann. Wenn ich nicht gespannt verfolge, wie Protagonisten Gefahren überstehen und ihre Ziele erreichen, sondern mir nichts sehnlicher wünsche, als dass sie scheitern mögen, habe ich das Gefühl, dass irgendetwas schiefgelaufen ist. Hauptfiguren, denen ich das wünsche, sind Lucien Chardon aus „Verlorene Illusionen“, Esmeralda aus „Der Glöckner von Notre-Dame“, Catherine und Heathcliff Earnshaw aus „Sturmhöhe“ (Emily Bronté), Franz Biberkopf aus „Berlin Alexanderplatz“ (Alexander Döblin) und Rodion Romanowitsch Raskolnikow aus „Schuld und Sühne“ (Fjodor Dostojewski).

Das Leben ist zu kurz, um Klassiker zu lesen

Ich habe lange Klassiker gelesen, weil man sie gelesen haben müsse. Vor ein paar Jahren habe ich beschlossen, dass das Leben dafür zu kurz ist. Das bedeutet nicht, dass ich keine Klassiker mehr lese, sondern dass ich sie danach auswähle, ob sie mir vom Stil, von der Handlung, dem Thema und den Figuren gut genug gefallen, dass ich sie zu Ende lesen möchte. Und wenn ich die Wahl habe, ob ich das erste Mal „Ulysses“ fertiglese oder das vierte Mal „The Untamed“3Sorry, ich lasse ungern eine Gelegenheit aus, auf meine chinesischen Serien hinzuweisen. schaue, ist die Entscheidung sehr einfach. Denn die Frage ist doch: Möchte ich irgendwen mit meiner Bildung beeindrucken oder möchte ich meine Freizeit genießen? In dem Sinne: Lest oder schaut also doch einfach mal was abseits unserer eurozentrischen Norm. 😉

Was haltet ihr von meiner Clickbait-Überschrift? Angeblich muss man immer eine Zahl dazuschreiben, wenn man einen Artikel verfasst wie „Die besten Bluetooth-Kopfhörer“ oder „Mittel, die garantiert gegen Haarausfall helfen“ oder „Gadgets, die man immer dabei haben sollte“. Also habe ich einfach mal die Zahl 10 genommen, ohne mich drum zu kümmern, über wie viele Klassiker ich geschrieben habe.

Setzt KI um, worum ich sie bitte? Ich sage, jein

So setzt Leap meinen Prompt um: Mittelalterliche Segelschiffe auf See

Bei meinem letzten Beitrag war es wieder so weit: Ich fand kein passendes Beitragsbild auf Pixabay. Also suchte mir die KI heraus, die die besten Ergebnisse in meinem Test erzielt hatten, (Bing, Leap, Picsart, Starryai) und schrieb Prompts. Es gibt Gründe, warum ich bei drei der KI schnell aufgab und den ursprünglichen Plan, der mir vorschwebte, fallen ließ.

Denn eine KI dazu zu bekommen, dass sie umsetzt, was ich in den Prompt schreibe, erfordert Kreativität und Hartnäckigkeit. Und manchmal muss man sich einfach geschlagen geben. Aber wieso ist das so schwierig?1Spoiler: Ich habe dazu leider nur Vermutungen, keine Antworten

Die KI und die Umsetzung eines Duells

Die KI erstellen Bilder anhand von Vorlagen, an denen sie gelernt haben. Wenn ich Prompts für KI-Bildgeneratoren schreibe, müssen sie aus diesen Vorlagen etwas Neues erschaffen, das meinen Vorgaben entspricht. Viel zu oft tun sie das aber nicht oder die Umsetzung ist recht interessant, wie ihr in meinem Test zu KI-Bildgeneratoren nachlesen könnt.

Ich habe dennoch weiter experimentiert und deshalb ziert meinen letzten Beitrag „Einen Köder schreiben – Praxisbeispiel Meuterei“ ein KI-erstelltes Bild von einer Piratin mit Schwert in der Hand. In diesem Beitrag hatte ich die erste Szene eines Manuskripts bearbeitet. Dort duelliert sich die Kapitänin eines Piratenschiffs mit einem unzufriedenen Matrosen. Zu diesem Duell wollte ich ein Bild haben.

Prompt schreiben? So geht das … oder so … oder so …

Prompt nicht umsetzen a la Leap: Eine Runde Piraten an Deck eines Schiffs
Prompt Leap: Piratin kämpft mit dem Schwert gegen einen Piraten auf dem Deck eines Schiffs, realistisch, beide werden von der Seite gezeigt

Im Prinzip ist es ganz einfach: Ich schreibe einen Prompt und erhalte davon eine bildliche Umsetzung. Im Internet finden sich viele Tipps, was man tun muss, wenn es nicht klappt. Sie lauten im Wesentlichen:

Möglichst knappe Prompts verfassen, möglichst detaillierte Prompts verfassen, möglichst eindeutige Prompts verfassen, die wichtigsten Wörter an den Anfang stellen, viele Adjektive benutzen, Stichpunkte benutzen, ganze Sätze benutzen …

Was ich nicht gefunden habe, sind Artikel darüber, woran es liegt, wenn die KI trotzdem Prompts nicht umsetzen. Also außer, dass mein Prompt angeblich nicht gut genug war. Jetzt sagt mir mal, was an dem Prompt für Leap nicht verständlich ist. Jedem Künstler, der mir das liefert, wenn ich ihm solche Anweisungen gebe, würde ich was erzählen.

Prompt umsetzen? Viel Luft nach oben

So setzt Leap meinen Prompt auch um: Mittelalterliche Segelschiffe auf See
Prompt Leap: Piratin Duell gegen einen Piraten mit Schwert an Deck eines Schiffs, Foto, beide werden von der Seite gezeigt

Leap generiert, trotz meiner Meinung nach recht eindeutigem Prompt, gern Schiffe. Schiffe auf dem Meer und im Hafen, mit Besatzung und ohne, als Holzschnitt oder mittelalterliches Gemälde. Vorne rechts auf diesem Bild findet sogar ein Duell statt. Es war das einzige, das bei 16 Versuchen herauskam. Aber klickt drauf und schaut euch die Gestalten aus der Nähe an. Leap denkt sich anscheinend: Schiffe kann ich, dabei bleib ich. Schiffe waren mir aber nicht nah genug an dem dran, was ich wollte.

Bing und Picsart setzten den Prompt vollständiger um – nur sehen die Menschen nicht wie Menschen aus. Und dazu, wie sie die Schwerter halten, sag ich mal nichts. Es wurde auch bei wiederholten Versuchen nicht besser. Ich kann den KI-Bildgeneratoren jetzt nur zugute halten, dass sie sich, obwohl sie offensichtlich keine Vorlagen haben, bemüht haben, meine Vorgaben einzuhalten.

Umsetzung des Prompts durch Bing und Leap: Eine Piratin und ein Pirat duellieren sich an Bord eines Schiffs
Prompt Bing, links: Piratin Frau kämpft mit dem Schwert gegen einen Piraten an Deck eines Schiffs, realistisch, beide werden von der Seite gezeigt
Prompt Picsart, rechts: pirate woman fighting a pirate man, sword fight, onboard a ship

Der Prompt und die Piratin

Starryai dagegen lieferte direkt ein richtig gutes Bild einer Piratin an Deck eines Schiffs. Das Problem war nur, auch die KI ignorierte den Rest des Prompts. Egal, wie oft ich bestimmte Worte darin unterbrachte, was ich bekam, waren Bilder einer Piratin, die verträumt in die Ferne sah, gelegentlich ergänzt durch einen Piraten oder Piratin, der/die sie anschmachtet.

Starryai setzt den Prompt nicht wie gewünscht um. Links schaut eine Piratin in die Ferne, rechts blickt ein Pirat eine Piratin verliebt an
Prompt 1, links: swordplay, duel, swordfight, onboard a ship, on deck, open air, open sea, ready for battle, female warrior pirate threatening a pirate with a sword, figthing, dangerous, holding a sword, high tension, ready to attack
Prompt 2, rechts: one pirate woman fighting a pirate man, swords fight, swordplay, fighting against each other, swords, duel, dueling, onboard a ship, on deck

Wenn die KI den Prompt ansatzweise erfüllte, wurde die Qualität der Bilder (deutlich) schlechter. Das rechte hätte ich sogar beinahe schon als Beitragsbild akzeptiert, aber über Hartnäckigkeit verfüge ich zum Glück in ausreichendem Maße.

Je kreativer, desto mehr Fehler machte Starryai bei der Umsetzung des Prompts: Oben zwei Piraten mit Schwertern, unten eine Piratin mit Schwert in Kampfpose
Prompt 1: swordplay duel on deck of a ship
Prompt 2: swordplay, duel, swordfight, onboard a ship, on deck, open air, open sea, ready for battle, female warrior pirate threatening a pirate with a sword, figthing, dangerous, holding a sword, high tension, ready to attack

Dass Starryai ebenfalls Vorlagen hat, von denen es nicht abweichen will, merkt ihr2bzw. vor allem ich, die ich alle 80 Bilder gesehen habe daran, dass ich fast immer dieselbe Piratin erhalten habe. Oder daran, wie ähnlich sich die drei Piraten sehen. Dafür stimmte die Qualität (meistens) und der Bildinhalt entsprach eher dem, was ich mir vorstellte, als die Schiffe.

Jetzt sagt ihr vielleicht: Das Beitragsbild von „Einen Köder schreiben“ sieht doch klasse aus. Aber das sagt ihr nur, weil es so klein ist. Dadurch könnt ihr nicht die Finger der Hand zählen, die das Schwert hält.3Es sind sechs, falls es euch interessiert. Außerdem benötigte ich dafür 20 Versuche, d. h. 80 generierte Bilder. Der Prompt ist derselbe wie der zur verträumten Piratin bzw. der mit dem leuchtenden Schwert. Auch das ist ein Mysterium: Warum lässt Starryai meistens den Großteil des Prompts außer acht und realisiert ihn sporadisch doch?

Eine Lösung habe ich nicht

Will ich, dass mein Prompt umgesetzt wird, oder will ich qualititativ hochwertige Bilder, die nur eine geringe Ähnlichkeit mit dem haben, was ich mir vorgestellt habe? Schwierige Entscheidung. Allerdings glaube ich nicht, dass ich bei Bing oder Picsart jemals richtig menschlich aussehende Duellanten erhalten hätte. Aber auch bei Starryai musste ich einen hohen Aufwand betreiben, damit die KI von ihrem Standardmotiv abwich und ich mein Bild von einer Piratin mit Waffe erhielt, bei dem die Fehler nicht zu auffällig sind.

Mit auf den Weg geben kann ich euch eigentlich nur: Ihr seid nicht Schuld, wenn KI-Bildgeneratoren eure Prompts nicht umsetzen. Die KI sind einfach noch weit davon entfernt, Anweisungen so exakt auszuführen zu können, wie es ein Mensch tun würde. Da bleibt nur, einen Kompromiss zu finden.

Falls ihr euch für Artikel von echten Experten zum Thema Bildgenerierung durch KI interessiert und noch mehr Beispielbilder sehen wollt, klickt doch mal hier und hier.

Einen Köder schreiben – Praxisbeispiel Meuterei

Eine Piratin hält ein Schwert in der Hand, bereit für den Kampf

Ihr habt unzählige Artikel, darunter auch meinen, gelesen, wie man Lesende am Buchanfang ködert, und kämpft trotzdem noch damit, einen spannenden Köder zu schreiben? Oder eure Lektorin sagt euch, das sei schon ein netter Versuch, aber …?

Ich habe dazu ein Beispiel aus meinem Lektorat mitgebracht, um zu zeigen, wie ich bei der Überarbeitung eines Köders vorgegangen bin, wie man Problemen auf die Schliche kommt und wie man sie beheben kann. Der Autor macht nämlich bei seinem schon einiges richtig – schießt aber doch knapp am Ziel vorbei. Was ist gut, was ist schlecht und wie lässt es sich verbessern? Auf geht’s.

Das Duell

Eine Piratin hält ein Schwert in der Hand, bereit für den KampfSoll dies mein Ende sein? Darüber machte sich Kapitänin Becky Moore in letzter Zeit immer öfter Gedanken.

Ist es nicht ehrenhaft, in einem Duell zu sterben? Doch als die Klinge ihres Kontrahenten wieder auf sie zuflog, hob sie ihren rechten Arm und der Schlag wurde abgewehrt. Ihr Gegner hatte zu viel Kraft in seinen Angriff gesetzt, er stolperte und Becky wich seitlich aus.

Dafür, dass er so schlecht kämpft, hatte er eine echt große Klappe.

Schauen wir uns zuerst an, was funktioniert.

Soll dies mein Ende sein?

Die Hauptperson schwebt offensichtlich in Lebensgefahr. Dadurch wird Spannung aufgebaut und Fragen aufgeworfen: In was für einer Gefahr schwebt sie? Wie wird sie ihr entkommen? Wird sie verletzt werden?

Ist es nicht ehrenhaft, in einem Duell zu sterben?

Im zweiten Absatz haben wir Bewegung. Bewegung vermittelt uns immer den Eindruck, dass etwas passiert. Es passiert sogar nicht irgendetwas, sondern die Hauptperson duelliert sich. (Genau genommen enthält der Satz noch keine Bewegung, aber wir schließen aus ihm, dass sie sich gerade duelliert.) Jetzt wissen wir, in welcher Gefahr sie sich befindet – meistens ist es eine gute Idee, am Anfang schnell konkret zu werden, weil es uns schneller in die Geschichte zieht. Und wenn sie sich fragt, ob das kein ehrenhafter Tod wäre, drängt sich die Vermutung auf, dass sie das Duell verlieren könnte.

Doch als die Klinge ihres Kontrahenten wieder auf sie zuflog, hob sie ihren rechten Arm […]

Aber obwohl es nicht gut für sie aussieht, hat sie noch nicht aufgegeben. Sie setzt sich zur Wehr. Damit hat der Autor mich auf seine Seite gezogen. Wir mögen aktive, entschlossene Protagonisten.

Der Fehler

Und jetzt kommt der Punkt, an dem die Spannung in sich zusammenbricht:

Dafür, dass er so schlecht kämpft, hatte er eine echt große Klappe.

Beckys Leben ist nicht ansatzweise gefährdet. Der Matrose weiß kaum, wie herum man einen Säbel anfassen muss. Mir wurde ein epischer Kampf versprochen und ich erhalte … nichts. Das ist es, was K. M. Weiland meint, wenn sie von Opening Lines That Lie To Readers spricht.

Ein Versprechen zu geben, das man nicht einlöst, frustriert Lesende. Sie fühlen sich betrogen. Und es gab bereits schon eine Stelle, an der der Autor sein Versprechen zumindest zu brechen schien. Gehen wir noch mal zu den ersten Sätzen:

Soll dies mein Ende sein?

Das Versprechen – der Köder – ist, dass Becky sich jetzt in großer Gefahr befindet.

Darüber machte sich Kapitänin Becky Moore in letzter Zeit immer öfter Gedanken.

Dieser Satz nimmt die Spannung wieder heraus. Der erste Satz hat bei mir die Annahme geweckt, dass die Geschichte mit einer actionreichen Szene startet. Aber im zweiten erfahre ich, dass Becky sich allgemein seit Kurzem häufiger Gedanken über den Tod macht. Jetzt bin ich verwirrt und frage mich: Sitzt Becky vielleicht einfach an ihrem Küchentisch und grübelt bei einem Glas Wein über ihr verpfuschtes Leben nach? Ich weiß nicht mehr, ob ich mich in einer lebensbedrohlichen Situation befinde oder nicht. Den Autor rettet, dass er in den nächsten drei Sätzen dann doch konkrete, actionreiche Handlung zeigt.

Und obwohl der erste Satz Spannung weckt, denke ich, dass man auch diesen besser ersetzen sollte. Denn er ist vage, wir erfahren zu wenig über die Situation, die ihr Ende sein könnte.

Die Meuterei

Wie könnte man stattdessen den Köder schreiben? Dafür kurz eine Zusammenfassung, was passiert ist: Auf Beckys Schiff bahnt sich eine Meuterei an. Die neuangeworbenen Matrosen sind mit der Erwartung an Bord gegangen, dass sie bei den Überfällen reiche Beute machen werden, aber in den Gewässern, die sie befahren, gibt es für Piraten nicht viele lohnende Ziele. Becky beschließt schließlich, gegen den Rädelsführer anzutreten, um ihre Autorität wiederherzustellen. Das erfahren wir alles in einer Rückblende.

Ich würde aus dieser Rückblende die erste Szene machen. Denn die Gefahr, die von den Matrosen ausgeht, ist real. Die Situation ist angespannt. Wenn Becky sich nicht schnell behaupten kann, besteht das Risiko, dass die Meuterei auf die ganze Mannschaft übergreift. So sah das beim Autor aus:

»Uns wurde Reichtum versprochen!«, hatte der Matrose noch vor ein paar Augenblicken gemurrt. Seine Stirn lag in Falten und sein Kopf war rot wie ein Feuerkrake. Der Geruch von Schnaps und Tabak umgab ihn.

»Aber nicht von mir. Wenn ihr den Märchen aus den Tavernen Glauben schenkt, dann gebt nicht mir die Schuld«, antwortete Becky. Ihre braunen Haare waren vom Regen durchnässt und klebten an ihrer silbrig-grauen Haifischlederweste.

»Ich habe bei einer Moore angeheuert, da dieser Name für satte Mägen und prall gefüllte Truhen steht!« Der Matrose drehte sich zu den anderen Frischlingen um. Seine Kameraden waren zurückhaltend, stimmten aber zu.

Das Schlimme an Lektor*innen ist, dass sie nie zufrieden sind. 😉 Machen wir also damit weiter, wie ich den Köder schreiben würde.

Der unzufriedene Matrose

Mir gefällt der Einstieg mit der wörtlichen Rede gut. Es ist gleich klar, dass sich ein Konflikt abspielt. Aber nur murren? Das erzeugt nicht genug Spannung. Zusätzlich flacht die Spannung durch die zwei folgenden Sätze ab, in denen der Matrose beschrieben, aber die Handlung nicht vorangetrieben wird. Der Matrose, der nach Schnaps und Tabak riecht, kommt einem Klischee außerdem schon recht nah. Und mit einem Betrunkener dürfte die Kapitänin eines Piratenschiffs ja wohl locker fertigwerden können. Wir brauchen mehr Gefahr.

„Ich habe bei einer Moore angeheuert, weil jeder weiß, dass der Name reiche Prise bedeutet!“ Einer der neuen Matrosen versperrte Becky den Weg, als sie das Deck der Seeschlange betrat. Die anderen Seeleute stellten ihre Arbeiten ein. Nur der Wind war noch zu hören, der durch die Segel strich.

Der Matrose beschwert sich jetzt nicht nur, er bedroht sie auch körperlich. Da die Aussagen, dass ihnen Reichtum versprochen wurde und der Name Moore für gut gefüllte Truhen (= Reichtum) steht, sich kaum unterscheiden, habe ich sie zu einer zusammengefasst.

Neben dem Köder, der uns in die Handlung hineinzieht, muss uns ein Anfang auch Orientierung bieten: Wo und wann sind wir, wer sind die handelnden Personen? Der Autor hat das berücksichtigt, als er sowohl den Matrosen als auch Becky beschrieben hat.

Warum habe ich das also herausgenommen? Nun ja, zum einen wird der Matrose (Spoiler!) bald tot sein, zum anderen hat Becky zwar gerade das Deck eines Schiffs betreten, aber ich fühle mich noch nicht wie auf einem. Daher habe ich lieber etwas gewählt, das den Schauplatz in den Blick nimmt.

Becky in Bedrängnis

Auch Becky wiederholt sich, wenn sie sagt, dass sie ihnen nie Reichtümer versprochen hat („Aber nicht von mir. […] gebt nicht mir die Schuld“). Und auch sie wird beschrieben, ohne es in die Handlung einzubinden. Neuer Versuch:

Ihre Hand legte sich um den rubinbesetzten Griff ihres Säbels. „Wenn ihr den Märchen aus den Tavernen Glauben schenkt, seid ihr selbst schuld.“

Beckys Säbel spielt im weiteren Verlauf noch eine große Rolle. Und alles, was wichtig wird, sollte so früh wie möglich angesprochen werden. Auch im eigentlichen Anfang kommt der Säbel ja vor.

Bei Becky hätte ich gern eine Beschreibung eingefügt, da sie die Hauptfigur ist. Momentan wissen wir, dass sie eine Hand und einen Säbel mit rubinbesetztem Griff hat und die Kapitänin sein muss. Sie bleibt insgesamt noch wenig greifbar. Mein Gefühl war aber, dass es Tempo herausnehmen würde, sie hier weiter zu charakterisieren. Ich würde das im vierten Absatz nachholen und schauen, ob es ausreicht, sie dort erst näher zu zeigen, oder ob ich doch hier einen Satz finden sollte.

Die Meuterei weitet sich aus

Der Matrose verschärft in der ursprünglichen Version den Konflikt, indem er noch einmal darauf pocht, dass sie sich etwas anderes unter Kaperfahrten mit einer Moore vorgestellt haben, und sich vergewissert, dass er den Rückhalt der anderen hat. Aber der letzte Satz über die Reaktion seiner Kameraden ist zu ungenau. Was bedeutet waren zurückhaltend, stimmten aber zu?

„Ist es auch ein Märchen, dass Ihr die besten Stücke in euren eigenen Taschen verschwinden lasst?“ Der Matrose drehte sich zu den anderen Frischlingen um, die langsam einen Halbkreis hinter ihm bildeten. „Das wüsste ich auch gern!“, rief eine hagere Frau, die einen Seeadler auf den Hals tätowiert hatte.

Der Konflikt eskalierte aus meiner Sicht am Anfang nicht stark genug. Daher habe ich massivere Vorwürfe eingefügt. Becky wird weiter in die Enge gedrängt und aus der gesichtslosen Masse, die zurückhaltend zustimmt, greife ich eine Frau heraus, um die Szene plastischer zu machen.

Das Gerücht, dass Becky ihrer Mannschaft Beute vorenthalte, habe ich vom Autor übernommen. Es kommt allerdings viel weiter hinten, wenn die Unzufriedenheit auf dem Schiff durch solche und weitere Gerüchte angeheizt wird. Dadurch müsste sich der Autor dort etwas anderes ausdenken, um den Konflikt voranzutreiben.

Der Autor legt noch einen Köder aus: Die Moores galten und gelten offensichtlich als gefürchtete Freibeuter. Aber Becky wird diesem Ruf nicht (mehr?) gerecht. Das macht mich neugierig: Wie ist es dazu gekommen?

Ein echter Kampf

Der Autor kann auch mit dem Kampf anfangen. Mein Rat wäre aber, aus dem sich selbst überschätzenden Matrosen einen echten Gegner zu machen und zwar unabhängig davon, ob der Kampf als Köder genutzt wird oder erst auf Seite 2 stattfindet. Denn wenn er sie in Bedrängnis bringt und die Stimmung im Verlauf des Kampfes dadurch vielleicht immer stärker zu seinen Gunsten kippt, entsteht Spannung.

Welche der beiden Szenen würdet ihr als Köder nehmen? Weckt bei euch der Satz „Soll dies mein Ende sein?“ dieselbe Erwartung wie bei mir? Und falls jemand sich inspiriert fühlt, selbst dazu einen Köder zu schreiben: Bitte in die Kommentare damit. 🙂

Vielen Dank an den Autor, der mir seinen Anfang zur Verfügung gestellt hat!

Wollt ihr wissen, wie ich an das Beitragsbild zu diesem Artikel gekommen bin? Dann lest

Kann KI Kunst? Ich sage, ja

mit Pixray generiertes Bild eines Walds mit Einhorn

Ihr kennt SEO, die Optimierung von Websiten zur besseren Auffindbarkeit durch Suchmaschinen? Mein SEO-Tool Yoast SEO meckert bei jedem meiner Artikel: Keyword kommt nicht im ersten Absatz vor, nicht genug Zwischenüberschriften, kein Bild verwendet usw.

KI-Bildgenerator Bing: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
KI-Bildgenerator Bing: Die Süßigkeiten sind immerhin da

Ich begebe mich daher z. B. regelmäßig auf Bildersuche, meistens bei Pixabay, einer großen und kostenlosen Bilddatenbank. Als Lektorin, die über das Lektorieren und Schreiben schreibt, drängen sich meist Fotos mit Stiften, Buchstaben, Büchern, Bücherregalen, lesenden Menschen etc. auf. Das ist auf Dauer … na ja … langweilig. Deshalb versuche ich, etwas Kreativeres zu nehmen. Nur ist das gar nicht so einfach. Für meinen letzten Artikel, Story Structure: Köder mich!, stellte ich mir eine Fährte aus Süßigkeiten vor, der Kinder in einen Wald folgen – eine Fährte aus Ködern sozusagen. Das ist nichts, das ich in einer Bilddatenbank auftreiben kann. So kam es dazu, dass ich einen Test der KI-Bildgeneratoren startete, die kostenlos verfügbar sind.

Hier kommt die KI ins Spiel

KI-Bildgenerator DeepAI: Einhorn in einem mysteriösen Wald
KI-Bildgenerator DeepAI: Einhorn in einem mysteriösen Wald

Die letzten Monate wird ständig über die riesigen Fortschritte geredet, die man bei KI gemacht habe. KI-generierte Bilder seien kaum noch von echten zu unterscheiden (und das trifft auf einige durchaus zu, wie ihr in diesem Spiegel-Quiz herausfinden könnt). Ich dachte mir also: Warum nicht einen KI-Bildgenerator ausprobieren? Was dabei herauskam, das präsentiere ich euch in diesem Beitrag. Denn einige Ergebnisse sind sehr kurios und es lohnt sich immer zu zählen, wie viele Beine1sowie Arme, Finger, Augen, Füße und Hörner die Tiere oder Menschen haben.

Ich habe mich an kostenlose Programme gehalten oder an die kostenlose Variante von kostenpflichtigen Programmen. Eine Freundin hat mich außerdem ihren Midjourney-Account nutzen lassen. Midjourney ist einer der beliebstesten, aber auch kostenpflichtigen, KI-Bildgeneratoren.

Wie das Ganze funktioniert

Bis vor Kurzem hatte ich keine Ahnung davon, wie man mit KI Bilder generiert, und vielleicht geht es euch genauso. Daher eine Einführung.

KI-Bildgenerator Pixray: Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald
Pixray: Warum sehen die Süßigkeiten für mich wie Würste aus?

Im Prinzip ist es simpel: Ihr verfasst einen Prompt, was in dem Bild zu sehen sein soll wie „Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald, strahlender Sonnenschein“. Dann klickt ihr auf Erstellen und erhaltet normalerweise vier Entwürfe. Bei manchen KI-Bildgeneratoren kann man auch ein Bild als Vorlage nehmen.

In den Prompt kann man alles Mögliche schreiben: Nahaufnahme der Kinder, Junge trägt Kniestrümpfe und Sandalen, Mädchen größer, Gothikoutfit, im Stil von Picasso, primäre Farben Rot, Blau und Gelb.

KI-Bildgenerator Leap: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Leap ließ sich nicht dazu bewegen, die Aufforderung „Anime“ umzusetzen

Die KI-Bildgeneratoren neigen alle dazu, Teile des Prompts zu ignorieren, sodass man eventuell mehrere Versuche unternehmen muss – oder irgendwann aufgibt. Ich kann nicht die einzige sein, die daran verzweifelt, denn ich habe einen Prompt gesehen, der in etwa so lautete:

„Anime Girl in a dress, Anime City, ANIME ANIME ANIME“

Je nach Programm gibt es weitere Funktionen. Stil ist eine häufige, bei der man z. B. Fotografie, Anime, Wasserfarben oder 3D-Modell auswählen kann. Aber keine Sorge, wenn es Stil nicht gibt, kann man das auch einfach im Prompt hinzufügen. Eine weitere nützliche zusätzliche Funktion ist Negative Prompt. Hier kann ich angeben, was ich auf keinen Fall im Bild sehen will, sagen wir, Erwachsene, Bäume oder Pferde mit drei Ohren.

Diese KI-Bildgeneratoren habe ich getestet

Ich habe zwei Prompts verwendet. Manchmal sahen sich die Ergebnisse einer KI zu einem Prompt alle ähnlich, andere lieferten recht unterschiedliche Entwürfe.

Prompt Nr. 1: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald, Anime

Ein Mädchen und ein kleiner Junge folgen einem Weg durch eine sonnige Landschaft.Als Erstes hatte ich mir einen Account für DreamStudio erstellt. DreamStudio ist die zweite sehr beliebte bildgenerierende KI. 25 Credits bekam ich geschenkt, das reichte für 29 Bilder. Wie hat es geklappt? Das eine Ergebnis ist das Beitragsbild für den letzten Blogartikel geworden.

Eins der anderen ist dieses. Klickt gern auf das Bild und schaut es euch in Vergrößerung an. Besitzt das Mädchen einen zweiten Arm? Warum endet der andere Arm in einem Stummel? Ein Auge ist braun, das andere blau und das blaue ist nicht vollständig. Mit den Beinen und Füßen des Jungen stimmt auch etwas nicht.

DreamStudio hatte bei allen meinen Prompts arge Probleme, wenn es um Menschen ging, egal welchen Stil ich gewählt habe, obwohl mir die Umsetzung von Anime gefällt.

Wie haben die anderen KI-Bildgeneratoren im Test abgeschnitten?

KI-Bildgenerator Bing und Canva: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Bing und Canva

Wie viele Füße hat das linke Mädchen bei Bing? Wo befindet sich das Kind bei Canva? Ein Wald ist das jedenfalls nicht.

KI-Bildgenerator Craiyon: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Craiyon

KIs brauchen keine Münder, warum sollten also Menschen welche haben?

KI-Bildgenerator DeepAI: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
DeepAI

Falls ich mal einen Horrorfilm drehen will, werde ich die Bilder von DeepAI nutzen.

KI-Bildgenerator Dream, getimg, Picsart: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Dream, getimg, Picsart

Auf die Beine achten. Beim Bild von getimg und Picsart auch auf die „Hände“.

KI-Bildgenerator Prodia: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Prodia

Anime ist das nicht für mich und auch sonst, ich sag mal, es überzeugt mich nicht. Das Mädchen im gelben Kleid darf auch beim Horrofilm mitmachen.

KI-Bildgenerator Starryai: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Starryai

Links: Zwei Mädchen, drei Beine. Und diese Hände. Rechts: Ganz ordentlich.

Bei Shutterstock kann man zwar kostenlos Bilder erstellen, muss aber zahlen, wenn man sie herunterladen will. Ich kann euch aber sagen, dass die Ergebnisse nicht überzeugender waren. Aber: Als eins der wenigen Programme hat die KI es hinbekommen, eine Spur aus Süßigkeiten darzustellen und das in jedem der vier generierten Bilder.

Und wie hat sich Midjourney geschlagen?

KI-Bildgenerator Midjourney: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Midjourney

Hat ebenfalls altbekannte Probleme mit Gliedmaßen und Gesichtern. Der Junge im rechten Bild ist in Wahrheit ein Mädchen. Ihr müsst euch nur den Schatten anschauen, um das zu erkennen.

Prompt Nr. 2: Mysteriöser Wald mit Einhorn

Okay, dachte ich mir, das war für die KIs wohl zu schwierig, versuchen wir etwas Einfacheres. Spoiler: Ein Einhorn ist für die KI nicht einfacher. Selbst ein Pferd ist es nicht.

Bitte neben dem Zählen darauf achten, wo das Horn2oder die Hörner sitzt.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Bing
Bing

Der mysteriöse Wald von Bing gefällt mir am besten und das transparente Einhorn auf dem linken Bild fände ich sogar richtig gelungen, wenn es nicht so einen seltsamen Hals hätte.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: DeepAI
DeepAI

Wenn ich nicht wüsste, dass das rechte Bild von einer KI generiert ist, würde ich glatt glauben, dass sei aus einer Kunstausstellung.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Dream, Dreamstudio, getimg, Picsart
Dream, Dreamstudio, getimg, Picsart

Warum sind so viele dieser Programme der Meinung, Einhörner hätten rosa zu sein? Laufen Einhörner mit fünf Beinen besser als welche mit vier?

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Leap
Leap

Wenn das Einhorn links doch nur ein zweites Ohr hätte!

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Prodia
Prodia

Wenigstens gibt Prodia sich Mühe, unterschiedliche Interpretationen des Prompts zu erstellen. Das rechte Einhorn ist gerade bei der Akupunktur.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Starryai
Starryai

Ich wäre mit dem Mädchen zufrieden, wenn sie keine Plüschohren hätte. Ihr seht bestimmt, was sonst nicht stimmt. Seitdem ich das rechte Bild gesehen habe, habe ich furchtbar Lust, einem Pferd die Mähne so zu färben. Schade, dass das Horn nicht echter wirkt.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Canva
Canva

Als Letztes ein Suchbild: Wo versteckt sich das Einhorn? Ich habe es noch nicht gefunden. Wenn jemand von euch es entdeckt, gebt mir bitte Bescheid. Ein solches Ergebnis habe ich aber bei jedem Programm mindestens einmal erhalten. Zählen ist nicht die große Stärke von KI, scheint es mir. Ob aus zwei Kindern drei werden oder aus einem Einhorn keins … pi mal Daumen kommt’s ja trotzdem hin. Vielleicht lassen sich die KIs auch vom Piloten im kleinen Prinzen inspirieren, der ein Schaf gezeichnet hat, wer weiß.

 

 

 

Kann Midjourney im Vergleich punkten?

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Midjourney
Midjourney

Ich bin nicht sicher, ob es sich links um ein Pferd mit zwei Ohren handelt, wovon eins an einer seltsamen Stelle wäre, oder ob das ein Horn sein soll. Die Wunden am Hals deuten außerdem darauf hin, dass es von Lord Voldemort angefallen wurde.

Lohnt es sich für mich?

Nach meinem Test der KI-Bildgeneratoren kann ich sagen: Es macht Spaß, mit ihnen herumzuspielen. Aber um das zu erhalten, was man möchte, muss man einiges an Zeit investieren und die Prompts immer wieder umschreiben – und manchmal klappt es nicht wie mit den Kindern, die Süßigkeiten folgen.

Es geht, selbst wenn ich ein Gespür für die Prompts bekommen habe, wahrscheinlich nicht schneller als Pixabay zu durchsuchen. Und das war es, auf das ich gehofft hatte. Trotzdem denke ich, dass ich einige der Bildgeneratoren die nächsten Monate weiter ausprobieren werde.

mit Pixray generiertes Bild eines Walds mit EinhornUnd falls euch mal langweilig ist, muntert es euch vielleicht auf, eure eigenen Prompts einzugeben.

Hättet ihr erraten, dass das Beitragsbild ein Einhorn darstellen soll? Tja, Pixray hat „mysterious wood“ als „mysteriöses Holz“ interpretiert. Kreativ ist die Umsetzung des Prompts auf jeden Fall.

Story Structure: Köder mich!

Zwei Jungen gehen an einem sonnigen Tag einen Waldweg entlang.

Leser ködern: Zwei Jungen gehen an einem sonnigen Tag einen Waldweg entlang.Es gibt so viele Romane, Graphic Novels, Filme und Serien1und Blogartikel – wie entscheidet man sich nur, welchen man eine Chance gibt? Wenn wir – um bei Büchern zu bleiben – die erste Seite aufschlagen, müssen wir in die Welt hineingezogen werden. Wie wird das erreicht? Indem wir Leser ködern.

Was ist ein Köder?

Die klassische Definition spricht davon, dass der Köder uns neugierig macht und eine Frage aufwirft, die wir beantwortet haben wollen. Er erzeugt also Spannung.

Ein Köder ist aber mehr als nur ein gelungener Einstieg. Der Köder kann auch der Name des Autors oder der Autorin sein. Gebt mir einen Kurzgeschichtenband von Alice Munro, den ich noch nicht kenne, und ich nehme ihn mit. Ich muss nichts weiter wissen, um ihn lesen zu wollen.

Vor Kurzem habe ich „Tress of the Emerald Sea“ von Brandon Sanderson gelesen. Die ersten vier Seiten hat sich mir keine einzige Frage gestellt, die ich beantwortet haben wollte. Ich fand weder die Welt noch die Hauptfigur interessant. Der einzige Grund, aus dem ich drangeblieben bin, war, dass der Roman von Sanderson ist. Ich weiß, dass er ein großartiger Erzähler ist, und so war ich bereit, abzuwarten, und er hat mich nicht enttäuscht.2Falls ihr noch nichts von Sanderson gelesen habt, empfehle ich euch aber, mit anderen Romanen von ihm anzufangen: Die Nebelgeborenen-Trilogie, die Wax-und-Wayne-Reihe oder die Defiance-Reihe. Aber wäre es nicht Sanderson gewesen, hätte ich es wahrscheinlich weggelegt. Wer also keinen Kultstatus hat, sollte ausreichend Zeit darauf verwenden, für seine Leser Köder am Beginn auszulegen.

Cover, Titel, Klappentext, auch das sind Mittel, um Leser zu ködern, und sie reichen manchmal aus.3In meinem Fall reicht es auch, mir zu sagen: Das ist die Übersetzung einer chinesischen Webnovel … Zumindest dafür, dass wir das Geld in der Buchhandlung ausgeben oder das Buch in der Bibliothek entleihen.

Leser ködern mit dem ersten Satz

In Beispiele für gutes Schreiben sammeln hatte ich ein paar erste Sätze genannt, die mich ködern.

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.

Stephen King: Schwarz

Das sind die Fragen, die bei mir dazu aufkommen: Wer ist der Mann in Schwarz – ist er die Hauptperson? Wovor flieht er? Weiß er, dass der Revolvermann ihm folgt und flieht vor ihm? In welcher Absicht folgt ihm der Revolvermann – will er ihm helfen oder ihn gefangen nehmen/töten? Ist der Revolvermann der Protagonist oder der Antagonist? Die Wüste ist ein lebensfeindlicher Ort – wie werden die beiden ihn überleben? Warum nimmt der Mann in Schwarz den gefährlichen Weg durch die Wüste?

Das sind ziemlich viele Fragen für einen Satz – und damit ein guter Einstieg. Außerdem zeigt der erste Satz Bewegung. Eine dynamische Szene erzeugt bei uns das Gefühl, dass etwas passiert, und erscheint uns daher interessanter als eine statische.

Leser ködern mit den ersten Absätzen

Der Köder muss aber nicht im ersten Satz stecken. Fforde baut in „Eiswelt“ die Spannung langsam auf.

Mrs. Tiffen spielte Bouzouki. Nicht besonders gut allerdings. Und sie beherrschte auch nur eine Melodie: „Help yourself“ von Tom Jones. Sie zupfte die Saiten durchaus meisterlich, ließ aber jegliches Gefühl dabei vermissen, während sie mit leerem Blick aus dem Zugfenster auf das Eis und den Schnee draußen starrte. Sie und ich hatten, seit wir uns vor fünf Stunden das erste Mal begegnet waren, kein vernünftiges Wort gewechselt, und dafür gab es einen vernünftigen Grund. Mrs. Tiffen war tot, und das schon seit einigen Jahren.

Jasper Fforde: Eiswelt

An welcher Stelle hat es euch am stärksten getriggert, weiterzulesen? Ich tippe auf den letzten Satz, wie es bei mir der Fall war.

Wenn ein Erwachsener ein Musikinstrument spielt, gehe ich erst einmal davon aus, dass die Person es beherrscht – aber im zweiten und dritten Satz wird dem widersprochen. Ich ändere meine Vermutung dahingehend, dass sie Anfängerin ist.

Der nächste Satz verrät uns, dass sie technisch durchaus versiert ist, aber ohne Gefühl spielt. Ich frage mich daher: Okay, sie beherrscht dieses Instrument – wie ist es dann möglich, dass sie nur ein Lied spielen kann? Wieso spielt sie ohne Gefühl und mit leerem Blick? Hat sie vielleicht einen Schock erlitten? Aber das erklärt nicht, warum sie nur ein Lied spielen kann. Ein Zug ist außerdem ein unüblicher Ort, um ein Instrument zu spielen. Auch das erzeugt Neugierde.

Im nächsten Satz erfahren wir endlich, wer uns die Geschichte erzählt: Es ist ein Ich-Erzähler. Er begleitet sie offensichtlich, aber sie reden nicht miteinander, haben sich nicht einmal begrüßt. Das ist seltsam. Aber, verspricht uns der Erzähler, ich kann das erklären. Das ist der Punkt, an dem Fforde liefern muss, sonst verpufft die ganze aufgebaute Spannung, und er tut es. Die Auflösung zur Frage darf uns nicht enttäuschen, sonst legen wir das Buch an der Stelle weg.

Auch der versierte Umgang mit Sprache ist ein Köder

Ist euch außerdem aufgefallen, wie die Satzlänge bei „Eiswelt“ sich ändert? Die ersten beiden Sätze bestehen aus vier Wörtern, der dritte aus zwölf. Der vierte und fünfte Satz aus … sehr vielen. Das dient dazu, einen Sog zu erzeugen. Der letzte, sechste Satz ist dagegen wieder kurz, um den Schockeffekt zu verstärken. Wir folgen den langen Sätzen, erst dem dritten, dann dem vierten und fünften wie einem Fluss, der rasch dahinströmt, um dann gegen ein Hindernis zu prallen: Mrs. Tiffen war tot, und das schon seit einigen Jahren.

Wenn ich merke, dass der Autor so mit Sprache umgehen kann, ist auch das ein Köder: Der kann schreiben, da kann ich mich seiner Geschichte anvertrauen.

Der richtige Köder für jedes Genre

Was jemanden beeindruckt, kann mich kalt lassen. In die Luft fliegende Autos z. B. Der richtige Köder hängt daher auch von der Zielgruppe bzw. vom Genre ab. In einer Liebesgeschichte die Anspielung darauf, dass es romantische Verwicklungen geben wird:

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

In einem Krimi lassen sich Leser eventuell durch die Entdeckung eines Mordes ködern:

„Gestern war er noch gesund“, sagte Maude. Ihre Ohren zuckten nervös.

„Das sagt gar nichts“, entgegnete Sir Ritchfield, der älteste Widder der Herde, „er ist ja nicht an einer Krankheit gestorben. Spaten sind keine Krankheit.“

Leonie Swann: Glennkill

Wobei der Köder hier mehr ist als der Mord, nämlich, wer den Mord entdeckt – eine Herde Schafe.

In einem Thriller können auf der ersten Seite Autos in die Luft fliegen, aber es reicht auch die Andeutung von Aufregung, Gefahr und Glamour:

Im Leben eines Geheimagenten gibt es Momente voller Luxus. Bei manchen Aufträgen muss er die Rolle eines sehr reichen Mannes spielen.

Ian Fleming: Leben und sterben lassen

Mag ich Humor? Dann ködern mich wahrscheinlich „Stolz und Vorurteil“ und „Glennkill“. Wer aber Fan von Hardboiled-Krimis ist, wird nach den ersten Sätzen merken, dass „Glennkill“ nicht das Richtige ist. Stehe ich auf Horror? Dann fängt mich ein düsterer Beginn ein. Der richtige Köder ist auch der richtige Ton und die richtige Stimmung je nach Genre. Ein James-Bond-Roman, der mit dem Satz aus „Stolz und Vorurteil“ anfängt, funktioniert nicht.

Genretypische Köder

Falls ihr viel Sherlock Holmes lest oder Star Trek schaut, ist euch vielleicht aufgefallen, dass es dort bestimmte Köder gibt, die öfter verwendet werden. Sherlock erhält einen Brief, der den Besuch eines Klienten ankündigt. Oder er beobachtet eine Frau vor der Baker Street 221B, die sich nicht entschließen kann zu klingeln. Manchmal ist es auch der Besuch selbst. Der echte Köder aber sind Sherlocks Beobachtungen über diese Personen, die er Watson mitteilt und unsere Neugierde schüren. Bei Star Trek geht oft ein Notrufsignal ein oder ein mysteriöses Phänomen soll näher untersucht werden. Obwohl diese Köder immer wieder benutzt werden, scheinen sie sich nicht abzunutzen.

Die Merkmale eines guten Köders

Wenn ihr herausfinden wollt, warum ein Anfang euch ködert, oder einen Anfang schreiben wollt, der Leser ködert, achtet darauf, ob eins der folgenden Merkmale erfüllt ist:

Neugierde wird geweckt: Wer ist die Frau, mit der der Junggeselle mit Vermögen verkuppelt werden soll?

Spannung wird aufgebaut: Wird der Revolvermann den Mann in Schwarz einholen und was geschieht dann?

Es wird Bewegung vermittelt: Der Mann in Schwarz flieht und der Revolvermann folgt ihm.

Eine ungewöhnliche Welt oder Personen werden vorgestellt: Eine Herde Schafe entdeckt ihren Schäfer morgens ermordet auf der Weide und beschließt, den Täter zu finden. Ob es ein Wolf war, neben dem Metzger das meistgefürchtetste Wesen unter Schafen?

Ein Widerspruch wird erzeugt: Wenn Mrs. Tiffen tot ist, wie kann sie dann Bouzoki spielen?

Vermieden werden sollten dagegen Beschreibungen alltäglicher Szenen, die langweilig sind – außer es gibt eine unterschwellige Spannung, das Gefühl, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Genauso wenig sollte die Situation zu Beginn aber dermaßen ungewöhnlich und unübersichtlich sein, dass die Lesenden sich nur eins fragen, nämlich: Was um alles in der Welt passiert hier?

Wie ihr seht, ist ein Köder viel mehr als das, was die klassische Definition beinhaltet.

Übrigens: Vom Köder wird nur am Anfang gesprochen, aber natürlich muss das ganze Werk von Ködern durchzogen sein, die uns immer weiter locken. Sobald eine Frage beantwortet ist, müssen sich neue stellen.

Ködern euch die von mir genannten Beispiele auch? Oder habt ihr selbst ein Beispiel?

Fun Fact

Das Bild zu diesem Blogartikel habe ich mit der KI DreamStudio generiert. Als Prompt hatte ich angegeben: „Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald, strahlender Sonnenschein, Anime.“ Ihr könnt ja mal beurteilen, wie gut die Umsetzung dieser Beschreibung geklappt hat. 😉4Es ist viel besser als das Meiste, was ich bei anderen, kostenlosen KI-Programmen erhalten habe. Und weil mich das Thema so fasziniert hat, habe ich noch zwei eigene Artikel zur Bildgenerierung durch KI verfasst.

Zum zweiten Teil über das Schreiben eines Köders geht es hier.

Was qualifiziert uns, Lektorat anzubieten?

Ein Mädchen präsentiert ihre Pokale und Medaillen.

Ein Mädchen präsentiert ihre Pokale und Medaillen.Lektor*in ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Das ist zum einen ein Segen – keine fünfzig Bewerbungen schreiben, zu fünf Vorstellungsgesprächen eingeladen werden und dann keinen Ausbildungsplatz erhalten1Oder würde man dafür eher einen Studiengang anbieten? – und zum anderen ein Fluch – wie weise ich nach, dass ich die nötigen Qualifikationen habe, als Lektorin zu arbeiten?

Viele von uns haben etwas studiert, das als Qualifikation für den Beruf als Lektor*in angesehen wird – Germanistik oder Literaturwissenschaft z. B. –, aber vorbereitet auf die Tätigkeit wird man dadurch nicht. Einige von uns haben in Verlagen gearbeitet, das ist keine schlechte Basis. Aber bei den meisten ist es wie bei mir ein Quereinstieg. Wie sorge ich dafür, dass ich die nötigen Kompetenzen erwerbe? Woher wisst ihr, ob wir Ahnung von dem haben, was wir tun?

Qualifikation durch Aus-, Fort- und Weiterbildungen

Die Qualifikation als Lektor*in erwirbt man z. B. über Fortbildungen. Von, zumindest gefühlt, jeder und jedem belegt, auch von mir, ist der Kurs Freies Lektorat von Irene Rumler bei der Akademie der deutschen Medien. Er gilt beim VFLL (Verband der freien Lektorinnen und Lektoren) als ein möglicher Nachweis, um eine Mitgliedschaft zu beantragen.

Die meisten Fortbildungen habe ich beim VFLL selbst gemacht. Dieser arbeitet seit letztem Jahr an einem Ausbau seines Fortbildungsprogramms, um uns sowohl ein solides Fundament für unsere Arbeit als auch Weiterbildungen zu den jeweils eigenen Schwerpunkten zu verschaffen.

Außerdem kann man bei der Textehexe und bei Lektorat Unker Kurse zur Weiter-/Ausbildung als Lektor*in belegen. Daneben gibt es weitere Anbieter, die ihre Seminare eher auf Schreibende ausrichten, bei denen es sich aber auch als Lektor*in immer mal wieder lohnt, ins Programm zu schauen. Dazu gehört das Nordkolleg Rendsburg

Qualifikation durch Vernetzung

Einen großen Teil meiner Qualifikation gewinne ich durch den Austausch mit Kolleg*innen. Da ist einmal meine VFLL-Regionalgruppe Niedersachsen mit ihren monatlichen Stammtischen, auf denen wir uns über alle möglichen beruflichen Themen unterhalten. Es gibt die VFLL-Mailingliste, auf der alle Arten von Fragen gestellt werden – von der Kommasetzung über die Verwendung des unzuverlässigen Erzählers bis hin zu Problemen mit Word. Allein durch das Mitlesen werde ich ständig schlauer. Ich bin außerdem im Netzwerk Selfpublishing des VFLL, in dem wir uns damit beschäftigen, was im Selfpublishing von Lektor*innen speziell gebraucht wird. Mitglieder mit anderen Schwerpunkten und Interessen als ich sind z. B. im Netzwerk Kinder- und Jugendbuch, Bildungsmedien oder Digitalisierung.

Drei Giraffen beim NetzwerkenKollegialer Austausch in kleinen Gruppen liegt mir am meisten. Ebenfalls einmal im Monat treffe ich mich online mit drei anderen Lektorinnen, Kathrin Andreas, Sarah Zimmermann und Romy Schneider2s. Symbolbild 😉, die ich über eine Fortbildung des VFLL kennengelernt habe. Ihr findet sie auf meiner Profilseite unter Kooperationen. Wir sprechen über Themen wie Angebotsgestaltung, Verfassen von Exposés, das Einbinden von Rückblenden und empfehlen uns Fortbildungen. Manchmal holen wir uns Hilfe bei einem Manuskript, an dem wir gerade arbeiten – schaut euch mal diese Metapher an, die klingt doch schräg, aber warum? Ich weiß von anderen, dass auch sie mit Kolleg*innen in so einem engen Austausch sind.

Weitere Netzwerke, in denen sich Frauen aus der Buchbranche treffen, sind die Bücherfrauen und der Texttreff.

Eine Mischung aus beidem – Weiterbildung und Netzwerken – ist die Fachtagung Freies Lektorat, die letztmalig – und erstmalig mit mir – 2022 in Halle stattfand, sowie Buchmessen und der Self-Publishing-Day.

Qualifikation durch tägliche Weiterbildung

Abgesehen davon bilde ich mich im weiteren Sinne täglich fort. Über Schreibratgeber, Youtube-Videos, Blogbeiträge und Podcasts oder indem ich Beispiele für gutes Schreiben sammele. Genau genommen auch dadurch, dass ich lese und Serien und (seltener) Filme schaue. Weil ich das nicht kann, ohne mir Gedanken über die Story Structure, Dialoge, Charakterentwicklung etc. zu machen. Und so wie das kontinuierliche Schreiben die eigenen Fähigkeiten immer weiter verbessert, werden auch wir durch das Lektorieren, Kommentieren und Umschreiben der uns anvertrauten Texte immer besser.

Qualifikation von Lektor*innen einschätzen

Wie ihr vielleicht gemerkt habt, ist es nicht unbedingt leicht, unsere Qualifikation als Lektor*in sichtbar zu machen. Nicht einmal darüber, dass wir Fortbildungen auf unserer Website aufführen, weil es irgendwann den Rahmen sprengen würde, alle zu nennen. Trotzdem ist es ein guter Anhaltspunkt, bei der Suche nach einem Lektorat zu schauen, welche Fortbildungen die Person besucht hat und in welchen Netzwerken sie Mitglied ist. Blogs sind ein weiteres Mittel, unsere Kompetenz darzustellen. Manche haben Kundenstimmen auf ihrer Seite oder führen einige Auftraggeber auf. Falls ihr immer noch unschlüssig seid, könnt ihr nach einem Probelektorat oder einem Erstgespräch fragen, um euer Projekt vorzustellen.

Habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, wie wir zu unserer Expertise kommen?

Littérature étrangère

deutsche Literatur in einer französischen Buchhandlung.

Ich gehe gern in Buchhandlungen. Und so habe ich meine Workation genutzt, um in Montpellier in einigen davon und in der Médiathèque Emile Zola1die Stadtbibliothek von Montpellier zu stöbern. Nun kann ich eventuell noch den Titel verstehen, aber da hört es mit meinem Französischkenntnissen meist auf. Daher begab ich mich auf die Suche nach fremdsprachiger Literatur2, die ich lesen kann. In meinem Fall heißt das deutsche oder englische.. „Littérature étrangère“ (fremde oder ausländische Literatur) schien mir die richtige Abteilung zu sein.

Was „fremde Literatur“ in Frankreich heißt

Regal mit deutschsprachiger Literatur in französischer Übersetzung bei der Buchhandlung Gibert JosephIn einer deutschen Buchhandlung finde ich in der Abteilung „fremdsprachige Literatur“ nicht deutsche Literatur in Originalsprache, d. h. größtenteils englische. Daher war ich überrascht, als ich vor den Regalen mit „Littérature étrangère“ stand. Denn ich fand unter der Bezeichnung die Übersetzungen nicht französischer Werke. Die Bücher sind dabei entweder nach Region (afrikanisch, asiatisch, skandinavisch) oder Originalsprache (japanisch, russisch, arabisch) unterteilt. Zwar macht auch hier Englisch den größten Teil aus, aber die spanischen Werke füllen ebenfalls mehrere Regale.3Ob das nur in unmittelbarer Nähe zu Spanien so ist?

Erst in der dritten Buchhandlung stieß ich auf eine Abteilung mit Büchern in anderen Sprachen4Vielleicht verstecken auch die anderen Buchhandlungen diese Bücher irgendwo, ich habe sie auch beim zweiten Mal nicht gesehen. – auch hier war, wenig überraschend, Englisch am stärksten vertreten, aber es standen auch zehn Reclam-Bände über die deutsche Geschichte da sowie „Also sprach Zarathustra“.

Nun war ich auch bei meinem ersten Besuch der Médiathèque Emile Zola5Ich gehe auch gern in Bibliotheken … bei der Suche nach deutscher, englischer oder anderer fremdsprachiger Literatur erfolglos geblieben, sondern stattdessen vor besagtem Regal mit der Littérature étrangère gelandet. Ich nahm mir also vor, einen zweiten Anlauf zu unternehmen. Es konnte doch nicht sein, dass eine so große Bibliothek keine Bücher in anderen Sprachen anbot. Und ich entdeckte sie! Die von mir gesuchten Bücher sind bei den Materialien zum Fremdsprachenlernen untergebracht, sowohl als zwei- als auch einsprachige Ausgaben. Amüsiert hat mich, dass hier auch Bücher stehen, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt wurden, wie „Biss zum Morgengrauen“.

Was für deutsche Literatur sich in den Regalen findet

Welche deutschsprachigen Autor*innen hält man in Frankreich nun für lesenswert? Vor allem die Klassiker und Hochliteratur: Goethe, Günter Grass, die Manns, Stefan Zweig, Herta Müller, Franz Kafka, Robert Musil, Erich Maria Marquez, Hermann Hesse, Siegfried Lenz, Hans Fallada, Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt. Auch Anne Frank und die Nibelungensage waren da.

Daneben gab es zum Glück auch Unterhaltungsliteratur, wenn auch deutlich weniger. Wolfgang Herrndorfer war mit „Tschick“ vertreten, Marc-Uwe Kling mit „Qualityland 2.0“, Patrick Süskind mit „Das Parfüm“6Oder gilt das als Hochliteratur? und Bernhard Schlink mit „Der Vorleser“, außerdem Nele Neuhaus und Charlotte Link.

Bei den Genres stehen ebenfalls ausländische Autor*innen. Deshalb habe ich die Fantasyabteilung bei Gibert Joseph durchforstet, aber keine deutschsprachigen entdeckt. Sonst waren größtenteils die vertreten, die ich auch aus Deutschland kenne, u. a.: Andrzej Sapkowski, Robert Jordan, Brandon Sanderson, Ursula K. Le Guin.

Warum ich die Littérature étrangère gern als Kategorie in Deutschland hätte

Es war zwar erst einmal verwirrend, was unter dieser Bezeichnung in Frankreich verstanden wird, aber dann gefiel mir die Kategorie sehr gut. Weil sie fremdsprachige Autor*innen sichtbar macht. Wenn ich in eine deutsche Buchhandlung mit dem Ziel gehe, mir Literatur von italienischen, polnischen oder chinesischen Autorinnen anzuschauen, stehe ich vor dem Problem, wie ich sie finden soll. Denn bei uns ist alphabethisch geordnet, und wenn ich namentlich keine polnische Autorin kenne, dann wird es schwierig. Dabei wäre es aus meiner Sicht so bereichernd, wenn wir breit gefächerter lesen und fernsehen und mehr Kunst und Kultur aus anderen Kulturen kennen würden.

La Comédie du Livre

Halle mit Büchern auf der Comédie du LivreAm Sonntag, dem 14. Mai, kamen mein Freund und ich zufällig an der Promenade du Peyrou vorbei und stellten fest, dass dort die Buchmesse  La Comédie du Livre7Link zur französischen Wikipedia-Seite stattfand.8Nicht, dass wir nicht schon seit Wochen die Plakate gesehen hätten, die die Innenstadt fluteten, aber ihr wisst ja, solche Ereignisse kommen trotzdem immer so plötzlich. Da der Eintritt frei war,  schlenderten wir drüber. Es waren vier Zelthallen mit Büchern und eine für Veranstaltungen und wie gesagt, mein Französisch macht nicht viel her, weshalb ich größtenteils die Cover bewunderte, aber ich fand es trotzdem toll: dass es in Montpellier eine Buchmesse gibt, dass Dutzende der Autor*innen anwesend waren, dass die Genres so breit gestreut waren (Mangas und Comics, Regionalliteratur, Bildbände, Romane, Kinderbücher, historische Sachbücher …) und dass es so gut besucht war. 

Wart ihr in anderen Ländern in Buchhandlungen, Antiquariaten,  Bibliotheken oder auf Buchflohmärkten und welche Erfahrungen habt ihr dort gemacht?

Workation Montpellier – Die Vorteile einer Freiberuflichkeit

Workation in Montpellier: Blick vom Arbeitsplatz
Workation als Freiberuflerin in Montpellier: Blick vom Arbeitsplatz in den Innenhof des Hotels
Blick vom Balkon/Arbeitsplatz

Ganz uneigennützig und ohne jeden Hintergedanken antwortete ich eines Tages im Januar meinem Freund: „Du könntest für drei Monate in Montpellier arbeiten? Das ist ja toll, mach das.“

Denn als Freiberuflerin kann ich von überall arbeiten, aber die Möglichkeit dazu muss man erst einmal haben. Nicht erst seitdem Andrea Görsch aus meiner VFLL-Regionalgruppe von ihrer Workation im Wortladen berichtet hat, hoffte ich ebenfalls auf eine solche Gelegenheit.

Work-Vacation-Balance

Da mein Freund gut darin ist, dezente Hinweise zu verstehen und selbst nicht abgeneigt war, verbringe ich nun sechs Wochen an einem Ort, an dem bereits Temperaturen herrschen, die in Oldenburg als Sommer gelten.1Während es in Niedersachsen, wie mir eine Kollegin verriet, Ende April noch einmal Bodenfrost gab. An einem Ort, an dem Regen nicht der Normalzustand ist.2Angeblich regnet es in Oldenburg nur ca. 130 Tage im Jahr, aber wer das glaubt, war noch nicht in Oldenburg.

Eine der vielen schönen Gassen der Innenstadt in MontpellierDer Name Workation bedeutet Kombination aus ortsunabhängiger Erwerbsarbeit und Urlaub[sreise]. Die Arbeit in Erinnerung zu behalten, ist nicht immer einfach, wenn es so viel zu entdecken gibt. Ich mache lange Spaziergänge, vor allem am Lez, besuche Parks und schlendere durch die Innenstadt. Sobald die Sonne herumkommt, ziehe ich zum Arbeiten auf den Balkon um. Für ein Wochenende sind wir nach Carcassonne gefahren. Außerdem habe ich für die Zeit keine weiteren Aufträge akquiriert, sondern nur die „mitgenommen“, die ich schon hatte. Stattdessen nahm ich mir vor, meine Arbeitszeit mehr mit dem zu verbringen, was sich fast nach Freizeit anfühlt: Blogbeiträge schreiben, die Story Structure verschiedener Romane, Filme und Serien analysieren, Youtube-Videos mit Schreibtipps ansehen, Schreibratgeber lesen. Die Monate davor waren sehr arbeitsintensiv und ich konnte solche erholsamen Tätigkeiten gebrauchen.

Neues ausprobieren

Ich bin natürlich nicht nur wegen der Sonne von der Idee angetan gewesen. Ich meine auch, dass es hilfreich ist, ab und zu aus dem Alltag auszubrechen, um gedanklich neue Wege zu gehen.3Der Alltag als Freiberufliche Lektorin im Home Office ist eher eintönig. Ich mag Eintönigkeit, aber man kann dadurch auch in festgefahrenen Denkweisen erstarren. Mir die Zeit zu nehmen, zu überlegen, in welche Richtung ich mich beruflich entwickeln will und wie ich das bewerkstelligen kann. Zu schauen, welche Muster mir vielleicht nicht so gut tun und welche Abläufe ich stattdessen in meinen Alltag integrieren könnte. Und ich kann mich endlich um die Kleinigkeiten kümmern, die immer liegen bleiben.

Ich habe den Luxus, dass ich mir eine Workation als Freiberuflerin leisten kann. Und ich genieße ihn. Falls ihr ebenfalls Freiberufler seid, kann ich euch nur empfehlen, eine solche Gelegenheit zu ergreifen, sollte sie sich bieten.

Andrea wollte aus ihrer Workation lernen, sich täglich eine Auszeit zu nehmen.4Hat das eigentlich geklappt, Andrea? Ich dagegen habe bisher nur gelernt, dass ich nicht weiß, wie ich jemals wieder Oldenburger Klima aushalten soll.

Nächste Woche gibt es einen Beitrag, in dem ich u. a. von deutscher Literatur in französischen Buchhandlungen erzähle.