Littérature étrangère

deutsche Literatur in einer französischen Buchhandlung.

Ich gehe gern in Buchhandlungen. Und so habe ich meine Workation genutzt, um in Montpellier in einigen davon und in der Médiathèque Emile Zola zu stöbern. Nun kann ich eventuell noch den Titel verstehen, aber da hört es mit meinem Französischkenntnissen meist auf. Daher begab ich mich auf die Suche nach fremdsprachiger Literatur1, die ich lesen kann. In meinem Fall heißt das deutsche oder englische.. „Littérature étrangère“ (fremde oder ausländische Literatur) schien mir die richtige Abteilung zu sein.

Was „fremde Literatur“ in Frankreich heißt

Regal mit deutschsprachiger Literatur in französischer Übersetzung bei der Buchhandlung Gibert JosephIn einer deutschen Buchhandlung finde ich in der Abteilung „fremdsprachige Literatur“ nicht deutsche Literatur in Originalsprache, d. h. größtenteils englische. Daher war ich überrascht, als ich vor den Regalen mit „Littérature étrangère“ stand. Denn ich fand unter der Bezeichnung die Übersetzungen nicht französischer Werke. Die Bücher sind dabei entweder nach Region (afrikanisch, asiatisch, skandinavisch) oder Originalsprache (japanisch, russisch, arabisch) unterteilt. Zwar macht auch hier Englisch den größten Teil aus, aber die spanischen Werke füllen ebenfalls mehrere Regale.2Ob das nur in unmittelbarer Nähe zu Spanien so ist?

Erst in der dritten Buchhandlung stieß ich auf eine Abteilung mit Büchern in anderen Sprachen3Vielleicht verstecken auch die anderen Buchhandlungen diese Bücher irgendwo, ich habe sie auch beim zweiten Mal nicht gesehen. – auch hier war, wenig überraschend, Englisch am stärksten vertreten, aber es standen auch zehn Reclam-Bände über die deutsche Geschichte da sowie „Also sprach Zarathustra“.

Nun war ich auch bei meinem ersten Besuch der Médiathèque Emile Zola4Ich gehe auch gern in Bibliotheken … bei der Suche nach deutscher, englischer oder anderer fremdsprachiger Literatur erfolglos geblieben, sondern stattdessen vor besagtem Regal mit der Littérature étrangère gelandet. Ich nahm mir also vor, einen zweiten Anlauf zu unternehmen. Es konnte doch nicht sein, dass eine so große Bibliothek keine Bücher in anderen Sprachen anbot. Und ich entdeckte sie! Die von mir gesuchten Bücher sind bei den Materialien zum Fremdsprachenlernen untergebracht, sowohl als zwei- als auch einsprachige Ausgaben. Amüsiert hat mich, dass hier auch Bücher stehen, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt wurden, wie „Biss zum Morgengrauen“.

Was für deutsche Literatur sich in den Regalen findet

Welche deutschsprachigen Autor*innen hält man in Frankreich nun für lesenswert? Vor allem die Klassiker und Hochliteratur: Goethe, Günter Grass, die Manns, Stefan Zweig, Herta Müller, Franz Kafka, Robert Musil, Erich Maria Marquez, Hermann Hesse, Siegfried Lenz, Hans Fallada, Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt. Auch Anne Frank und die Nibelungensage waren da.

Daneben gab es zum Glück auch Unterhaltungsliteratur, wenn auch deutlich weniger. Wolfgang Herrndorfer war mit „Tschick“ vertreten, Marc-Uwe Kling mit „Qualityland 2.0“, Patrick Süskind mit „Das Parfüm“5Oder gilt das als Hochliteratur? und Bernhard Schlink mit „Der Vorleser“, außerdem Nele Neuhaus und Charlotte Link.

Bei den Genres stehen ebenfalls ausländische Autor*innen. Deshalb habe ich die Fantasyabteilung bei Gibert Joseph durchforstet, aber keine deutschsprachigen entdeckt. Sonst waren größtenteils die vertreten, die ich auch aus Deutschland kenne, u. a.: Andrzej Sapkowski, Robert Jordan, Brandon Sanderson, Ursula K. Le Guin.

Warum ich die Littérature étrangère gern als Kategorie in Deutschland hätte

Es war zwar erst einmal verwirrend, was unter dieser Bezeichnung in Frankreich verstanden wird, aber dann gefiel mir die Kategorie sehr gut. Weil sie fremdsprachige Autor*innen sichtbar macht. Wenn ich in eine deutsche Buchhandlung mit dem Ziel gehe, mir Literatur von italienischen, polnischen oder chinesischen Autorinnen anzuschauen, stehe ich vor dem Problem, wie ich sie finden soll. Denn bei uns ist alphabethisch geordnet, und wenn ich namentlich keine polnische Autorin kenne, dann wird es schwierig. Dabei wäre es aus meiner Sicht so bereichernd, wenn wir breit gefächerter lesen und fernsehen und mehr Kunst und Kultur aus anderen Kulturen kennen würden.

La Comédie du Livre

Halle mit Büchern auf der Comédie du LivreAm Sonntag, dem 14. Mai, kamen mein Freund und ich zufällig an der Promenade du Peyrou vorbei und stellten fest, dass dort die Buchmesse  La Comédie du Livre6Link zur französischen Wikipedia-Seite stattfand.7Nicht, dass wir nicht schon seit Wochen die Plakate gesehen hätten, die die Innenstadt fluteten, aber ihr wisst ja, solche Ereignisse kommen trotzdem immer so plötzlich. Da der Eintritt frei war,  schlenderten wir drüber. Es waren vier Zelthallen mit Büchern und eine für Veranstaltungen und wie gesagt, mein Französisch macht nicht viel her, weshalb ich größtenteils die Cover bewunderte, aber ich fand es trotzdem toll: dass es in Montpellier eine Buchmesse gibt, dass Dutzende der Autor*innen anwesend waren, dass die Genres so breit gestreut waren (Mangas und Comics, Regionalliteratur, Bildbände, Romane, Kinderbücher, historische Sachbücher …) und dass es so gut besucht war. 

Wart ihr in anderen Ländern in Buchhandlungen, Antiquariaten,  Bibliotheken oder auf Buchflohmärkten und welche Erfahrungen habt ihr dort gemacht?

Fantasy: Schon mal Xianxia ausprobiert?

Blick in eine Buchhandlung in Japan

Buchhandlung in JapanHat euer Interesse an Fantasy die letzten Jahre auch stark nachgelassen? Mir zumindest ging es so. Denn bevor ich einen Fantasyroman aufschlage, kann ich schon ziemlich genau vorhersagen, was mich erwartet: eine Welt, die dem (west-)europäischen Mittelalter, (west-)europäischer Kultur und (west-)europäischer Landschaft nachempfunden ist, d. h. mit Königreichen, Kriegen, stereotypen Geschlechterrollen, Magie, die von Hexen (auf Besen, halten Katzen) oder Zauberern (mit Zauberstab, tragen einen weißen, langen Bart) praktiziert wird, einem oder einer Auserwählten und vielen weißen Männern. Manchmal heißen die Protagonisten sogar Jim, John und Joe. Auch wenn die Handlung fantastisch ist, langweilen mich diese immergleichen Settings.1Okay, und die stereotypen Geschlechterrollen und die deutliche Unterrepräsentation von weiblichen Protagonisten regen mich auf. Gerade in der Fantasy hat man doch so viel Freiheit, ungewöhnliche Welten zu entwerfen.

Dann bekam ich „The Untamed“ empfohlen

Tweet zur chinesischen Fantasyserie The Untamed: Ich war noch nie von irgendetwas in meinem Leben besessener.Die Serie,2die von der Webnovel Mó Dào Zǔ Shī (The Grandmaster of Demonic Cultivation) von Mo Xiang Tong Xiu adaptiert wurde. die zum chinesischen Fantasy-Untergenre Xianxia3Das zweite wichtige chinesische Subgenre ist Wuxia.gehört, war 2019 eine der erfolgreichsten in China.4Insbesondere die Serie hat auch eine große und obsessive Anhängerschaft außerhalb. Nachdem zahlreiche Fanübersetzungen der Webnovel entstanden, haben sich 2021 Tokyopop fürs Deutsche und Seven Seas Entertainment fürs Englische die Rechte gesichert. Damit ist sie momentan leider noch eine Ausnahme, aber ich bin noch voller Hoffnung, dass sich das die nächsten Jahre ändert. Ich hatte zuerst Probleme, mich in dieser Welt zurechtzufinden, denn

  1. sie beruht auf einer ganz anderen Kultur. Ich kenne die historischen Personen nicht, auf die Bezug genommen wird, nicht die Hochzeitsbräuche, nicht die daoistischen Konzepte, die das Magiesystem beeinflusst haben, und nicht die symbolische Bedeutung von Kaninchen in der chinesischen Mythologie;
  2. chinesische Fantasy unterscheidet sich stark von unserer. Die Welt entspricht oft dem chinesischen Mittelalter, Clans ersetzen unsere Adelsgesellschaft, statt Magie wird Kultivierung genutzt und Kultivierer fliegen5Surfen genaugenommen. auf ihren Schwertern. Außerdem gibt es viele asiatische Männer, zu häufig stereotype Geschlechterrollen und wenig Frauen.

Ich war stundenlang damit beschäftigt, zur Serie und zu Xianxia zu lesen, was ich nur finden konnte.6Man kann auch folgen, ohne das zu tun, aber es macht es deutlich schwieriger. Sogar die Erzählstruktur entspricht nicht unseren Erwartungen. Genau das war es aber, was mich so fasziniert hat: Chinesische Fantasy ist anders, ungewohnt, neu.7Das nutzt sich nach einer Weile natürlich ab, weil es auch in Xianxia und Wuxia Genrekonventionen gibt, die sich wiederholen.8Abgesehen davon sind „The Untamed“ und z. B. „Word of Honor“ brillante Serien.

Und davon wünsche ich mir mehr

Als ich vorletztes Jahr versuchte, Krimis außerhalb unseres westlichen Kontexts zu finden, stieß ich zwar auf Bücher, die in anderen Kulturen spielen und einen einheimischen Polizisten als Hauptfigur haben, aber alle stammen von weißen Männern, die ein paar Jahre dort gelebt haben. Das ist nicht dasselbe wie ein Krimi (oder Fantasyroman) von koreanischen, peruanischen oder nigerianischen Autor*innen.9Auf der Suchen nach einem Blog über fantastische, asiatische Literatur habe ich drei Krimiempfehlungen aus Asien gefunden. Leider ist es jetzt zu spät, seitdem ich mich praktisch nur noch für chinesische Fantasy interessiere.

Die letzten Jahre hat sich auf dem deutschen Buchmarkt etwas getan hat. Schwarze Fantasy- und Science-Fiction-Autor*innen wie Nnedi Okorafor und N. K. Jemisin sind mehr in den Fokus gerückt und Liu Cixin konnte mit „Die drei Sonnen“ einen großen Erfolg verbuchen.

Meine schmale Auswahl nichtwestlicher Fantasy- und Science-FictionliteraturAber nichtwestliche Literatur wird leider nach wie vor vernachlässigt. In Buchhandlungen und Bibliotheken findet man fast nur westeuropäische und nordamerikanische Autor*innen. Sie sind es, die normalerweise an Schulen gelesen werden und in Fach- und Sachbüchern besprochen werden. Die meisten Romane werden aus dem Englischen übersetzt, weswegen Stimmen aus nicht-englischsprachigen Ländern fehlen.

Das führt zu einer bestimmten, falschen Denkweise: Ich habe noch nie von einem berühmten chinesischen Autor gehört, also gibt es wohl keine. Wir haben in der Schule nie einen Klassiker aus Afrika besprochen, also gibt es wohl keine. Der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Fantasy dreht sich nur um westliche, also gibt es wohl keine erwähnenswerte in anderen Kulturen und Ländern.

So entgehen uns großartige Geschichten, Einblicke in andere Kulturen und Sichtweisen sowie erfrischend andere Erzählweisen. Xianxia, Wuxia, Xuanhuan oder Afrofuturismus sind nur ein paar Beispielgenres aus der weiten, unbekannten Welt nichtwestlicher Literatur. Wenn ihr offen dafür seid, mal etwas anderes auszuprobieren, dann habe ich am Ende noch ein paar Tipps für euch.

Zum Stöbern laden ein

Asian Fantasy Books auf Goodreads

Youtube-Kanal von AvenueX zu chinesischen Drama-Serien

CDrama Recommendation List von dramapotatoe10Viele chinesische Serien beruhen auf Webnovels/Romanen. Diese Seite sowie der Youtube-Kanal von AvenueX sind daher ein guter Startpunkt, um nach Xianxia- und Wuxialiteratur zu suchen.

Interkontinental, ein Verein zur Förderung afrikanischer Literatur

Blog der Diversity-Buchhandlung kohsie

Eine große Auswahl asiatischer Serien findet ihr legal und kostenlos auf Rakuten Viki11Auch „The Untamed“ 🙂

Reading Black Futures mit einer Liste weiblicher und männlicher phantastischer Schwarzer Autoren