Kann KI Kunst? Ich sage, ja

mit Pixray generiertes Bild eines Walds mit Einhorn

Ihr kennt SEO, die Optimierung von Websiten zur besseren Auffindbarkeit durch Suchmaschinen? Mein SEO-Tool Yoast SEO meckert bei jedem meiner Artikel: Keyword kommt nicht im ersten Absatz vor, nicht genug Zwischenüberschriften, kein Bild verwendet usw.

KI-Bildgenerator Bing: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
KI-Bildgenerator Bing: Die Süßigkeiten sind immerhin da

Ich begebe mich daher z. B. regelmäßig auf Bildersuche, meistens bei Pixabay, einer großen und kostenlosen Bilddatenbank. Als Lektorin, die über das Lektorieren und Schreiben schreibt, drängen sich meist Fotos mit Stiften, Buchstaben, Büchern, Bücherregalen, lesenden Menschen etc. auf. Das ist auf Dauer … na ja … langweilig. Deshalb versuche ich, etwas Kreativeres zu nehmen. Nur ist das gar nicht so einfach. Für meinen letzten Artikel, Story Structure: Köder mich!, stellte ich mir eine Fährte aus Süßigkeiten vor, der Kinder in einen Wald folgen – eine Fährte aus Ködern sozusagen. Das ist nichts, das ich in einer Bilddatenbank auftreiben kann. So kam es dazu, dass ich einen Test der KI-Bildgeneratoren startete, die kostenlos verfügbar sind.

Hier kommt die KI ins Spiel

KI-Bildgenerator DeepAI: Einhorn in einem mysteriösen Wald
KI-Bildgenerator DeepAI: Einhorn in einem mysteriösen Wald

Die letzten Monate wird ständig über die riesigen Fortschritte geredet, die man bei KI gemacht habe. KI-generierte Bilder seien kaum noch von echten zu unterscheiden (und das trifft auf einige durchaus zu, wie ihr in diesem Spiegel-Quiz herausfinden könnt). Ich dachte mir also: Warum nicht einen KI-Bildgenerator ausprobieren? Was dabei herauskam, das präsentiere ich euch in diesem Beitrag. Denn einige Ergebnisse sind sehr kurios und es lohnt sich immer zu zählen, wie viele Beine1sowie Arme, Finger, Augen, Füße und Hörner die Tiere oder Menschen haben.

Ich habe mich an kostenlose Programme gehalten oder an die kostenlose Variante von kostenpflichtigen Programmen. Eine Freundin hat mich außerdem ihren Midjourney-Account nutzen lassen. Midjourney ist einer der beliebstesten, aber auch kostenpflichtigen, KI-Bildgeneratoren.

Wie das Ganze funktioniert

Bis vor Kurzem hatte ich keine Ahnung davon, wie man mit KI Bilder generiert, und vielleicht geht es euch genauso. Daher eine Einführung.

KI-Bildgenerator Pixray: Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald
Pixray: Warum sehen die Süßigkeiten für mich wie Würste aus?

Im Prinzip ist es simpel: Ihr verfasst einen Prompt, was in dem Bild zu sehen sein soll wie „Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald, strahlender Sonnenschein“. Dann klickt ihr auf Erstellen und erhaltet normalerweise vier Entwürfe. Bei manchen KI-Bildgeneratoren kann man auch ein Bild als Vorlage nehmen.

In den Prompt kann man alles Mögliche schreiben: Nahaufnahme der Kinder, Junge trägt Kniestrümpfe und Sandalen, Mädchen größer, Gothikoutfit, im Stil von Picasso, primäre Farben Rot, Blau und Gelb.

KI-Bildgenerator Leap: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Leap ließ sich nicht dazu bewegen, die Aufforderung „Anime“ umzusetzen

Die KI-Bildgeneratoren neigen alle dazu, Teile des Prompts zu ignorieren, sodass man eventuell mehrere Versuche unternehmen muss – oder irgendwann aufgibt. Ich kann nicht die einzige sein, die daran verzweifelt, denn ich habe einen Prompt gesehen, der in etwa so lautete:

„Anime Girl in a dress, Anime City, ANIME ANIME ANIME“

Je nach Programm gibt es weitere Funktionen. Stil ist eine häufige, bei der man z. B. Fotografie, Anime, Wasserfarben oder 3D-Modell auswählen kann. Aber keine Sorge, wenn es Stil nicht gibt, kann man das auch einfach im Prompt hinzufügen. Eine weitere nützliche zusätzliche Funktion ist Negative Prompt. Hier kann ich angeben, was ich auf keinen Fall im Bild sehen will, sagen wir, Erwachsene, Bäume oder Pferde mit drei Ohren.

Diese KI-Bildgeneratoren habe ich getestet

Ich habe zwei Prompts verwendet. Manchmal sahen sich die Ergebnisse einer KI zu einem Prompt alle ähnlich, andere lieferten recht unterschiedliche Entwürfe.

Prompt Nr. 1: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald, Anime

Ein Mädchen und ein kleiner Junge folgen einem Weg durch eine sonnige Landschaft.Als Erstes hatte ich mir einen Account für DreamStudio erstellt. DreamStudio ist die zweite sehr beliebte bildgenerierende KI. 25 Credits bekam ich geschenkt, das reichte für 29 Bilder. Wie hat es geklappt? Das eine Ergebnis ist das Beitragsbild für den letzten Blogartikel geworden.

Eins der anderen ist dieses. Klickt gern auf das Bild und schaut es euch in Vergrößerung an. Besitzt das Mädchen einen zweiten Arm? Warum endet der andere Arm in einem Stummel? Ein Auge ist braun, das andere blau und das blaue ist nicht vollständig. Mit den Beinen und Füßen des Jungen stimmt auch etwas nicht.

DreamStudio hatte bei allen meinen Prompts arge Probleme, wenn es um Menschen ging, egal welchen Stil ich gewählt habe, obwohl mir die Umsetzung von Anime gefällt.

Wie haben die anderen KI-Bildgeneratoren im Test abgeschnitten?

KI-Bildgenerator Bing und Canva: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Bing und Canva

Wie viele Füße hat das linke Mädchen bei Bing? Wo befindet sich das Kind bei Canva? Ein Wald ist das jedenfalls nicht.

KI-Bildgenerator Craiyon: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Craiyon

KIs brauchen keine Münder, warum sollten also Menschen welche haben?

KI-Bildgenerator DeepAI: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
DeepAI

Falls ich mal einen Horrorfilm drehen will, werde ich die Bilder von DeepAI nutzen.

KI-Bildgenerator Dream, getimg, Picsart: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Dream, getimg, Picsart

Auf die Beine achten. Beim Bild von getimg und Picsart auch auf die „Hände“.

KI-Bildgenerator Prodia: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Prodia

Anime ist das nicht für mich und auch sonst, ich sag mal, es überzeugt mich nicht. Das Mädchen im gelben Kleid darf auch beim Horrofilm mitmachen.

KI-Bildgenerator Starryai: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Starryai

Links: Zwei Mädchen, drei Beine. Und diese Hände. Rechts: Ganz ordentlich.

Bei Shutterstock kann man zwar kostenlos Bilder erstellen, muss aber zahlen, wenn man sie herunterladen will. Ich kann euch aber sagen, dass die Ergebnisse nicht überzeugender waren. Aber: Als eins der wenigen Programme hat die KI es hinbekommen, eine Spur aus Süßigkeiten darzustellen und das in jedem der vier generierten Bilder.

Und wie hat sich Midjourney geschlagen?

KI-Bildgenerator Midjourney: Zwei Kinder folgen einer Fährte aus Süßigkeiten in einen Wald
Midjourney

Hat ebenfalls altbekannte Probleme mit Gliedmaßen und Gesichtern. Der Junge im rechten Bild ist in Wahrheit ein Mädchen. Ihr müsst euch nur den Schatten anschauen, um das zu erkennen.

Prompt Nr. 2: Mysteriöser Wald mit Einhorn

Okay, dachte ich mir, das war für die KIs wohl zu schwierig, versuchen wir etwas Einfacheres. Spoiler: Ein Einhorn ist für die KI nicht einfacher. Selbst ein Pferd ist es nicht.

Bitte neben dem Zählen darauf achten, wo das Horn2oder die Hörner sitzt.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Bing
Bing

Der mysteriöse Wald von Bing gefällt mir am besten und das transparente Einhorn auf dem linken Bild fände ich sogar richtig gelungen, wenn es nicht so einen seltsamen Hals hätte.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: DeepAI
DeepAI

Wenn ich nicht wüsste, dass das rechte Bild von einer KI generiert ist, würde ich glatt glauben, dass sei aus einer Kunstausstellung.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Dream, Dreamstudio, getimg, Picsart
Dream, Dreamstudio, getimg, Picsart

Warum sind so viele dieser Programme der Meinung, Einhörner hätten rosa zu sein? Laufen Einhörner mit fünf Beinen besser als welche mit vier?

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Leap
Leap

Wenn das Einhorn links doch nur ein zweites Ohr hätte!

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Prodia
Prodia

Wenigstens gibt Prodia sich Mühe, unterschiedliche Interpretationen des Prompts zu erstellen. Das rechte Einhorn ist gerade bei der Akupunktur.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Starryai
Starryai

Ich wäre mit dem Mädchen zufrieden, wenn sie keine Plüschohren hätte. Ihr seht bestimmt, was sonst nicht stimmt. Seitdem ich das rechte Bild gesehen habe, habe ich furchtbar Lust, einem Pferd die Mähne so zu färben. Schade, dass das Horn nicht echter wirkt.

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Canva
Canva

Als Letztes ein Suchbild: Wo versteckt sich das Einhorn? Ich habe es noch nicht gefunden. Wenn jemand von euch es entdeckt, gebt mir bitte Bescheid. Ein solches Ergebnis habe ich aber bei jedem Programm mindestens einmal erhalten. Zählen ist nicht die große Stärke von KI, scheint es mir. Ob aus zwei Kindern drei werden oder aus einem Einhorn keins … pi mal Daumen kommt’s ja trotzdem hin. Vielleicht lassen sich die KIs auch vom Piloten im kleinen Prinzen inspirieren, der ein Schaf gezeichnet hat, wer weiß.

 

 

 

Kann Midjourney im Vergleich punkten?

Ki-bildgenerierte Einhörner im Wald: Midjourney
Midjourney

Ich bin nicht sicher, ob es sich links um ein Pferd mit zwei Ohren handelt, wovon eins an einer seltsamen Stelle wäre, oder ob das ein Horn sein soll. Die Wunden am Hals deuten außerdem darauf hin, dass es von Lord Voldemort angefallen wurde.

Lohnt es sich für mich?

Nach meinem Test der KI-Bildgeneratoren kann ich sagen: Es macht Spaß, mit ihnen herumzuspielen. Aber um das zu erhalten, was man möchte, muss man einiges an Zeit investieren und die Prompts immer wieder umschreiben – und manchmal klappt es nicht wie mit den Kindern, die Süßigkeiten folgen.

Es geht, selbst wenn ich ein Gespür für die Prompts bekommen habe, wahrscheinlich nicht schneller als Pixabay zu durchsuchen. Und das war es, auf das ich gehofft hatte. Trotzdem denke ich, dass ich einige der Bildgeneratoren die nächsten Monate weiter ausprobieren werde.

mit Pixray generiertes Bild eines Walds mit EinhornUnd falls euch mal langweilig ist, muntert es euch vielleicht auf, eure eigenen Prompts einzugeben.

Hättet ihr erraten, dass das Beitragsbild ein Einhorn darstellen soll? Tja, Pixray hat „mysterious wood“ als „mysteriöses Holz“ interpretiert. Kreativ ist die Umsetzung des Prompts auf jeden Fall.

Story Structure: Köder mich!

Zwei Jungen gehen an einem sonnigen Tag einen Waldweg entlang.

Leser ködern: Zwei Jungen gehen an einem sonnigen Tag einen Waldweg entlang.Es gibt so viele Romane, Graphic Novels, Filme und Serien1und Blogartikel – wie entscheidet man sich nur, welchen man eine Chance gibt? Wenn wir – um bei Büchern zu bleiben – die erste Seite aufschlagen, müssen wir in die Welt hineingezogen werden. Wie wird das erreicht? Indem wir Leser ködern.

Was ist ein Köder?

Die klassische Definition spricht davon, dass der Köder uns neugierig macht und eine Frage aufwirft, die wir beantwortet haben wollen. Er erzeugt also Spannung.

Ein Köder ist aber mehr als nur ein gelungener Einstieg. Der Köder kann auch der Name des Autors oder der Autorin sein. Gebt mir einen Kurzgeschichtenband von Alice Munro, den ich noch nicht kenne, und ich nehme ihn mit. Ich muss nichts weiter wissen, um ihn lesen zu wollen.

Vor Kurzem habe ich „Tress of the Emerald Sea“ von Brandon Sanderson gelesen. Die ersten vier Seiten hat sich mir keine einzige Frage gestellt, die ich beantwortet haben wollte. Ich fand weder die Welt noch die Hauptfigur interessant. Der einzige Grund, aus dem ich drangeblieben bin, war, dass der Roman von Sanderson ist. Ich weiß, dass er ein großartiger Erzähler ist, und so war ich bereit, abzuwarten, und er hat mich nicht enttäuscht.2Falls ihr noch nichts von Sanderson gelesen habt, empfehle ich euch aber, mit anderen Romanen von ihm anzufangen: Die Nebelgeborenen-Trilogie, die Wax-und-Wayne-Reihe oder die Defiance-Reihe. Aber wäre es nicht Sanderson gewesen, hätte ich es wahrscheinlich weggelegt. Wer also keinen Kultstatus hat, sollte ausreichend Zeit darauf verwenden, für seine Leser Köder am Beginn auszulegen.

Cover, Titel, Klappentext, auch das sind Mittel, um Leser zu ködern, und sie reichen manchmal aus.3In meinem Fall reicht es auch, mir zu sagen: Das ist die Übersetzung einer chinesischen Webnovel … Zumindest dafür, dass wir das Geld in der Buchhandlung ausgeben oder das Buch in der Bibliothek entleihen.

Leser ködern mit dem ersten Satz

In Beispiele für gutes Schreiben sammeln hatte ich ein paar erste Sätze genannt, die mich ködern.

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.

Stephen King: Schwarz

Das sind die Fragen, die bei mir dazu aufkommen: Wer ist der Mann in Schwarz – ist er die Hauptperson? Wovor flieht er? Weiß er, dass der Revolvermann ihm folgt und flieht vor ihm? In welcher Absicht folgt ihm der Revolvermann – will er ihm helfen oder ihn gefangen nehmen/töten? Ist der Revolvermann der Protagonist oder der Antagonist? Die Wüste ist ein lebensfeindlicher Ort – wie werden die beiden ihn überleben? Warum nimmt der Mann in Schwarz den gefährlichen Weg durch die Wüste?

Das sind ziemlich viele Fragen für einen Satz – und damit ein guter Einstieg. Außerdem zeigt der erste Satz Bewegung. Eine dynamische Szene erzeugt bei uns das Gefühl, dass etwas passiert, und erscheint uns daher interessanter als eine statische.

Leser ködern mit den ersten Absätzen

Der Köder muss aber nicht im ersten Satz stecken. Fforde baut in „Eiswelt“ die Spannung langsam auf.

Mrs. Tiffen spielte Bouzouki. Nicht besonders gut allerdings. Und sie beherrschte auch nur eine Melodie: „Help yourself“ von Tom Jones. Sie zupfte die Saiten durchaus meisterlich, ließ aber jegliches Gefühl dabei vermissen, während sie mit leerem Blick aus dem Zugfenster auf das Eis und den Schnee draußen starrte. Sie und ich hatten, seit wir uns vor fünf Stunden das erste Mal begegnet waren, kein vernünftiges Wort gewechselt, und dafür gab es einen vernünftigen Grund. Mrs. Tiffen war tot, und das schon seit einigen Jahren.

Jasper Fforde: Eiswelt

An welcher Stelle hat es euch am stärksten getriggert, weiterzulesen? Ich tippe auf den letzten Satz, wie es bei mir der Fall war.

Wenn ein Erwachsener ein Musikinstrument spielt, gehe ich erst einmal davon aus, dass die Person es beherrscht – aber im zweiten und dritten Satz wird dem widersprochen. Ich ändere meine Vermutung dahingehend, dass sie Anfängerin ist.

Der nächste Satz verrät uns, dass sie technisch durchaus versiert ist, aber ohne Gefühl spielt. Ich frage mich daher: Okay, sie beherrscht dieses Instrument – wie ist es dann möglich, dass sie nur ein Lied spielen kann? Wieso spielt sie ohne Gefühl und mit leerem Blick? Hat sie vielleicht einen Schock erlitten? Aber das erklärt nicht, warum sie nur ein Lied spielen kann. Ein Zug ist außerdem ein unüblicher Ort, um ein Instrument zu spielen. Auch das erzeugt Neugierde.

Im nächsten Satz erfahren wir endlich, wer uns die Geschichte erzählt: Es ist ein Ich-Erzähler. Er begleitet sie offensichtlich, aber sie reden nicht miteinander, haben sich nicht einmal begrüßt. Das ist seltsam. Aber, verspricht uns der Erzähler, ich kann das erklären. Das ist der Punkt, an dem Fforde liefern muss, sonst verpufft die ganze aufgebaute Spannung, und er tut es. Die Auflösung zur Frage darf uns nicht enttäuschen, sonst legen wir das Buch an der Stelle weg.

Auch der versierte Umgang mit Sprache ist ein Köder

Ist euch außerdem aufgefallen, wie die Satzlänge bei „Eiswelt“ sich ändert? Die ersten beiden Sätze bestehen aus vier Wörtern, der dritte aus zwölf. Der vierte und fünfte Satz aus … sehr vielen. Das dient dazu, einen Sog zu erzeugen. Der letzte, sechste Satz ist dagegen wieder kurz, um den Schockeffekt zu verstärken. Wir folgen den langen Sätzen, erst dem dritten, dann dem vierten und fünften wie einem Fluss, der rasch dahinströmt, um dann gegen ein Hindernis zu prallen: Mrs. Tiffen war tot, und das schon seit einigen Jahren.

Wenn ich merke, dass der Autor so mit Sprache umgehen kann, ist auch das ein Köder: Der kann schreiben, da kann ich mich seiner Geschichte anvertrauen.

Der richtige Köder für jedes Genre

Was jemanden beeindruckt, kann mich kalt lassen. In die Luft fliegende Autos z. B. Der richtige Köder hängt daher auch von der Zielgruppe bzw. vom Genre ab. In einer Liebesgeschichte die Anspielung darauf, dass es romantische Verwicklungen geben wird:

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil

In einem Krimi lassen sich Leser eventuell durch die Entdeckung eines Mordes ködern:

„Gestern war er noch gesund“, sagte Maude. Ihre Ohren zuckten nervös.

„Das sagt gar nichts“, entgegnete Sir Ritchfield, der älteste Widder der Herde, „er ist ja nicht an einer Krankheit gestorben. Spaten sind keine Krankheit.“

Leonie Swann: Glennkill

Wobei der Köder hier mehr ist als der Mord, nämlich, wer den Mord entdeckt – eine Herde Schafe.

In einem Thriller können auf der ersten Seite Autos in die Luft fliegen, aber es reicht auch die Andeutung von Aufregung, Gefahr und Glamour:

Im Leben eines Geheimagenten gibt es Momente voller Luxus. Bei manchen Aufträgen muss er die Rolle eines sehr reichen Mannes spielen.

Ian Fleming: Leben und sterben lassen

Mag ich Humor? Dann ködern mich wahrscheinlich „Stolz und Vorurteil“ und „Glennkill“. Wer aber Fan von Hardboiled-Krimis ist, wird nach den ersten Sätzen merken, dass „Glennkill“ nicht das Richtige ist. Stehe ich auf Horror? Dann fängt mich ein düsterer Beginn ein. Der richtige Köder ist auch der richtige Ton und die richtige Stimmung je nach Genre. Ein James-Bond-Roman, der mit dem Satz aus „Stolz und Vorurteil“ anfängt, funktioniert nicht.

Genretypische Köder

Falls ihr viel Sherlock Holmes lest oder Star Trek schaut, ist euch vielleicht aufgefallen, dass es dort bestimmte Köder gibt, die öfter verwendet werden. Sherlock erhält einen Brief, der den Besuch eines Klienten ankündigt. Oder er beobachtet eine Frau vor der Baker Street 221B, die sich nicht entschließen kann zu klingeln. Manchmal ist es auch der Besuch selbst. Der echte Köder aber sind Sherlocks Beobachtungen über diese Personen, die er Watson mitteilt und unsere Neugierde schüren. Bei Star Trek geht oft ein Notrufsignal ein oder ein mysteriöses Phänomen soll näher untersucht werden. Obwohl diese Köder immer wieder benutzt werden, scheinen sie sich nicht abzunutzen.

Die Merkmale eines guten Köders

Wenn ihr herausfinden wollt, warum ein Anfang euch ködert, oder einen Anfang schreiben wollt, der Leser ködert, achtet darauf, ob eins der folgenden Merkmale erfüllt ist:

Neugierde wird geweckt: Wer ist die Frau, mit der der Junggeselle mit Vermögen verkuppelt werden soll?

Spannung wird aufgebaut: Wird der Revolvermann den Mann in Schwarz einholen und was geschieht dann?

Es wird Bewegung vermittelt: Der Mann in Schwarz flieht und der Revolvermann folgt ihm.

Eine ungewöhnliche Welt oder Personen werden vorgestellt: Eine Herde Schafe entdeckt ihren Schäfer morgens ermordet auf der Weide und beschließt, den Täter zu finden. Ob es ein Wolf war, neben dem Metzger das meistgefürchtetste Wesen unter Schafen?

Ein Widerspruch wird erzeugt: Wenn Mrs. Tiffen tot ist, wie kann sie dann Bouzoki spielen?

Vermieden werden sollten dagegen Beschreibungen alltäglicher Szenen, die langweilig sind – außer es gibt eine unterschwellige Spannung, das Gefühl, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Genauso wenig sollte die Situation zu Beginn aber dermaßen ungewöhnlich und unübersichtlich sein, dass die Lesenden sich nur eins fragen, nämlich: Was um alles in der Welt passiert hier?

Wie ihr seht, ist ein Köder viel mehr als das, was die klassische Definition beinhaltet.

Übrigens: Vom Köder wird nur am Anfang gesprochen, aber natürlich muss das ganze Werk von Ködern durchzogen sein, die uns immer weiter locken. Sobald eine Frage beantwortet ist, müssen sich neue stellen.

Ködern euch die von mir genannten Beispiele auch? Oder habt ihr selbst ein Beispiel?

Fun Fact

Das Bild zu diesem Blogartikel habe ich mit der KI DreamStudio generiert. Als Prompt hatte ich angegeben: „Zwei Kinder folgen einer Spur aus Süßigkeiten in einen Wald, strahlender Sonnenschein, Anime.“ Ihr könnt ja mal beurteilen, wie gut die Umsetzung dieser Beschreibung geklappt hat. 😉4Es ist viel besser als das Meiste, was ich bei anderen, kostenlosen KI-Programmen erhalten habe. Und weil mich das Thema so fasziniert hat, habe ich noch zwei eigene Artikel zur Bildgenerierung durch KI verfasst.

Zum zweiten Teil über das Schreiben eines Köders geht es hier.

Was qualifiziert uns, Lektorat anzubieten?

Qualifikationsnachweis: Ein Mädchen präsentiert ihre Pokale und Medaillen.

Ein Mädchen präsentiert ihre Pokale und Medaillen.Lektor*in ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Das ist zum einen ein Segen – keine fünfzig Bewerbungen schreiben, zu fünf Vorstellungsgesprächen eingeladen werden und dann keinen Ausbildungsplatz erhalten1Oder würde man dafür eher einen Studiengang anbieten? – und zum anderen ein Fluch – wie weise ich nach, dass ich die nötigen Qualifikationen habe, als Lektorin zu arbeiten?

Viele von uns haben etwas studiert, das als Qualifikation für den Beruf als Lektor*in angesehen wird – Germanistik oder Literaturwissenschaft z. B. –, aber vorbereitet auf die Tätigkeit wird man dadurch nicht. Einige von uns haben in Verlagen gearbeitet, das ist keine schlechte Basis. Aber bei den meisten ist es wie bei mir ein Quereinstieg. Wie sorge ich dafür, dass ich die nötigen Kompetenzen erwerbe? Woher wisst ihr, ob wir Ahnung von dem haben, was wir tun?

Qualifikation durch Aus-, Fort- und Weiterbildungen

Die Qualifikation als Lektor*in erwirbt man z. B. über Fortbildungen. Von, zumindest gefühlt, jeder und jedem belegt, auch von mir, ist der Kurs Freies Lektorat von Irene Rumler bei der Akademie der deutschen Medien. Er gilt beim VFLL (Verband der freien Lektorinnen und Lektoren) als ein möglicher Nachweis, um eine Mitgliedschaft zu beantragen.

Die meisten Fortbildungen habe ich beim VFLL selbst gemacht. Dieser arbeitet seit letztem Jahr an einem Ausbau seines Fortbildungsprogramms, um uns sowohl ein solides Fundament für unsere Arbeit als auch Weiterbildungen zu den jeweils eigenen Schwerpunkten zu verschaffen.

Außerdem kann man bei der Textehexe und bei Lektorat Unker Kurse zur Weiter-/Ausbildung als Lektor*in belegen. Daneben gibt es weitere Anbieter, die ihre Seminare eher auf Schreibende ausrichten, bei denen es sich aber auch als Lektor*in immer mal wieder lohnt, ins Programm zu schauen. Dazu gehört das Nordkolleg Rendsburg

Qualifikation durch Vernetzung

Einen großen Teil meiner Qualifikation gewinne ich durch den Austausch mit Kolleg*innen. Da ist einmal meine VFLL-Regionalgruppe Niedersachsen mit ihren monatlichen Stammtischen, auf denen wir uns über alle möglichen beruflichen Themen unterhalten. Es gibt die VFLL-Mailingliste, auf der alle Arten von Fragen gestellt werden – von der Kommasetzung über die Verwendung des unzuverlässigen Erzählers bis hin zu Problemen mit Word. Allein durch das Mitlesen werde ich ständig schlauer. Ich bin außerdem im Netzwerk Selfpublishing des VFLL, in dem wir uns damit beschäftigen, was im Selfpublishing von Lektor*innen speziell gebraucht wird. Mitglieder mit anderen Schwerpunkten und Interessen als ich sind z. B. im Netzwerk Kinder- und Jugendbuch, Bildungsmedien oder Digitalisierung.

Drei Giraffen beim NetzwerkenKollegialer Austausch in kleinen Gruppen liegt mir am meisten. Ebenfalls einmal im Monat treffe ich mich online mit drei anderen Lektorinnen, Kathrin Andreas, Sarah Zimmermann und Romy Schneider2s. Symbolbild 😉, die ich über eine Fortbildung des VFLL kennengelernt habe. Ihr findet sie auf meiner Profilseite unter Kooperationen. Wir sprechen über Themen wie Angebotsgestaltung, Verfassen von Exposés, das Einbinden von Rückblenden und empfehlen uns Fortbildungen. Manchmal holen wir uns Hilfe bei einem Manuskript, an dem wir gerade arbeiten – schaut euch mal diese Metapher an, die klingt doch schräg, aber warum? Ich weiß von anderen, dass auch sie mit Kolleg*innen in so einem engen Austausch sind.

Weitere Netzwerke, in denen sich Frauen aus der Buchbranche treffen, sind die Bücherfrauen und der Texttreff.

Eine Mischung aus beidem – Weiterbildung und Netzwerken – ist die Fachtagung Freies Lektorat, die letztmalig – und erstmalig mit mir – 2022 in Halle stattfand, sowie Buchmessen und der Self-Publishing-Day.

Qualifikation durch tägliche Weiterbildung

Abgesehen davon bilde ich mich im weiteren Sinne täglich fort. Über Schreibratgeber, Youtube-Videos, Blogbeiträge und Podcasts oder indem ich Beispiele für gutes Schreiben sammele. Genau genommen auch dadurch, dass ich lese und Serien und (seltener) Filme schaue. Weil ich das nicht kann, ohne mir Gedanken über die Story Structure, Dialoge, Charakterentwicklung etc. zu machen. Und so wie das kontinuierliche Schreiben die eigenen Fähigkeiten immer weiter verbessert, werden auch wir durch das Lektorieren, Kommentieren und Umschreiben der uns anvertrauten Texte immer besser.

Qualifikation von Lektor*innen einschätzen

Wie ihr vielleicht gemerkt habt, ist es nicht unbedingt leicht, unsere Qualifikation als Lektor*in sichtbar zu machen. Nicht einmal darüber, dass wir Fortbildungen auf unserer Website aufführen, weil es irgendwann den Rahmen sprengen würde, alle zu nennen. Trotzdem ist es ein guter Anhaltspunkt, bei der Suche nach einem Lektorat zu schauen, welche Fortbildungen die Person besucht hat und in welchen Netzwerken sie Mitglied ist. Blogs sind ein weiteres Mittel, unsere Kompetenz darzustellen. Manche haben Kundenstimmen auf ihrer Seite oder führen einige Auftraggeber auf. Falls ihr immer noch unschlüssig seid, könnt ihr nach einem Probelektorat oder einem Erstgespräch fragen, um euer Projekt vorzustellen.

Habt ihr euch schon mal Gedanken darüber gemacht, wie wir zu unserer Expertise kommen?

Littérature étrangère

deutsche Literatur in einer französischen Buchhandlung.

Ich gehe gern in Buchhandlungen. Und so habe ich meine Workation genutzt, um in Montpellier in einigen davon und in der Médiathèque Emile Zola1die Stadtbibliothek von Montpellier zu stöbern. Nun kann ich eventuell noch den Titel verstehen, aber da hört es mit meinem Französischkenntnissen meist auf. Daher begab ich mich auf die Suche nach fremdsprachiger Literatur2, die ich lesen kann. In meinem Fall heißt das deutsche oder englische.. „Littérature étrangère“ (fremde oder ausländische Literatur) schien mir die richtige Abteilung zu sein.

Was „fremde Literatur“ in Frankreich heißt

Regal mit deutschsprachiger Literatur in französischer Übersetzung bei der Buchhandlung Gibert JosephIn einer deutschen Buchhandlung finde ich in der Abteilung „fremdsprachige Literatur“ nicht deutsche Literatur in Originalsprache, d. h. größtenteils englische. Daher war ich überrascht, als ich vor den Regalen mit „Littérature étrangère“ stand. Denn ich fand unter der Bezeichnung die Übersetzungen nicht französischer Werke. Die Bücher sind dabei entweder nach Region (afrikanisch, asiatisch, skandinavisch) oder Originalsprache (japanisch, russisch, arabisch) unterteilt. Zwar macht auch hier Englisch den größten Teil aus, aber die spanischen Werke füllen ebenfalls mehrere Regale.3Ob das nur in unmittelbarer Nähe zu Spanien so ist?

Erst in der dritten Buchhandlung stieß ich auf eine Abteilung mit Büchern in anderen Sprachen4Vielleicht verstecken auch die anderen Buchhandlungen diese Bücher irgendwo, ich habe sie auch beim zweiten Mal nicht gesehen. – auch hier war, wenig überraschend, Englisch am stärksten vertreten, aber es standen auch zehn Reclam-Bände über die deutsche Geschichte da sowie „Also sprach Zarathustra“.

Nun war ich auch bei meinem ersten Besuch der Médiathèque Emile Zola5Ich gehe auch gern in Bibliotheken … bei der Suche nach deutscher, englischer oder anderer fremdsprachiger Literatur erfolglos geblieben, sondern stattdessen vor besagtem Regal mit der Littérature étrangère gelandet. Ich nahm mir also vor, einen zweiten Anlauf zu unternehmen. Es konnte doch nicht sein, dass eine so große Bibliothek keine Bücher in anderen Sprachen anbot. Und ich entdeckte sie! Die von mir gesuchten Bücher sind bei den Materialien zum Fremdsprachenlernen untergebracht, sowohl als zwei- als auch einsprachige Ausgaben. Amüsiert hat mich, dass hier auch Bücher stehen, die aus anderen Sprachen ins Deutsche übersetzt wurden, wie „Biss zum Morgengrauen“.

Was für deutsche Literatur sich in den Regalen findet

Welche deutschsprachigen Autor*innen hält man in Frankreich nun für lesenswert? Vor allem die Klassiker und Hochliteratur: Goethe, Günter Grass, die Manns, Stefan Zweig, Herta Müller, Franz Kafka, Robert Musil, Erich Maria Marquez, Hermann Hesse, Siegfried Lenz, Hans Fallada, Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt. Auch Anne Frank und die Nibelungensage waren da.

Daneben gab es zum Glück auch Unterhaltungsliteratur, wenn auch deutlich weniger. Wolfgang Herrndorfer war mit „Tschick“ vertreten, Marc-Uwe Kling mit „Qualityland 2.0“, Patrick Süskind mit „Das Parfüm“6Oder gilt das als Hochliteratur? und Bernhard Schlink mit „Der Vorleser“, außerdem Nele Neuhaus und Charlotte Link.

Bei den Genres stehen ebenfalls ausländische Autor*innen. Deshalb habe ich die Fantasyabteilung bei Gibert Joseph durchforstet, aber keine deutschsprachigen entdeckt. Sonst waren größtenteils die vertreten, die ich auch aus Deutschland kenne, u. a.: Andrzej Sapkowski, Robert Jordan, Brandon Sanderson, Ursula K. Le Guin.

Warum ich die Littérature étrangère gern als Kategorie in Deutschland hätte

Es war zwar erst einmal verwirrend, was unter dieser Bezeichnung in Frankreich verstanden wird, aber dann gefiel mir die Kategorie sehr gut. Weil sie fremdsprachige Autor*innen sichtbar macht. Wenn ich in eine deutsche Buchhandlung mit dem Ziel gehe, mir Literatur von italienischen, polnischen oder chinesischen Autorinnen anzuschauen, stehe ich vor dem Problem, wie ich sie finden soll. Denn bei uns ist alphabethisch geordnet, und wenn ich namentlich keine polnische Autorin kenne, dann wird es schwierig. Dabei wäre es aus meiner Sicht so bereichernd, wenn wir breit gefächerter lesen und fernsehen und mehr Kunst und Kultur aus anderen Kulturen kennen würden.

La Comédie du Livre

Halle mit Büchern auf der Comédie du LivreAm Sonntag, dem 14. Mai, kamen mein Freund und ich zufällig an der Promenade du Peyrou vorbei und stellten fest, dass dort die Buchmesse  La Comédie du Livre7Link zur französischen Wikipedia-Seite stattfand.8Nicht, dass wir nicht schon seit Wochen die Plakate gesehen hätten, die die Innenstadt fluteten, aber ihr wisst ja, solche Ereignisse kommen trotzdem immer so plötzlich. Da der Eintritt frei war,  schlenderten wir drüber. Es waren vier Zelthallen mit Büchern und eine für Veranstaltungen und wie gesagt, mein Französisch macht nicht viel her, weshalb ich größtenteils die Cover bewunderte, aber ich fand es trotzdem toll: dass es in Montpellier eine Buchmesse gibt, dass Dutzende der Autor*innen anwesend waren, dass die Genres so breit gestreut waren (Mangas und Comics, Regionalliteratur, Bildbände, Romane, Kinderbücher, historische Sachbücher …) und dass es so gut besucht war. 

Wart ihr in anderen Ländern in Buchhandlungen, Antiquariaten,  Bibliotheken oder auf Buchflohmärkten und welche Erfahrungen habt ihr dort gemacht?

Workation Montpellier – Die Vorteile einer Freiberuflichkeit

Blick auf einen kleinen Innenhof mit Garten in Montpellier
Blick auf einen kleinen Innenhof mit Garten in Montpellier
Blick vom Balkon/Arbeitsplatz

Ganz uneigennützig und ohne jeden Hintergedanken antwortete ich eines Tages im Januar meinem Freund: „Du könntest für drei Monate in Montpellier arbeiten? Das ist ja toll, mach das.“

Denn als Freiberuflerin kann ich von überall arbeiten, aber die Möglichkeit dazu muss man erst einmal haben. Nicht erst seitdem Andrea Görsch aus meiner VFLL-Regionalgruppe von ihrer Workation im Wortladen berichtet hat, hoffte ich ebenfalls auf eine solche Gelegenheit.

Work-Vacation-Balance

Da mein Freund gut darin ist, dezente Hinweise zu verstehen und selbst nicht abgeneigt war, verbringe ich nun sechs Wochen an einem Ort, an dem bereits Temperaturen herrschen, die in Oldenburg als Sommer gelten.1Während es in Niedersachsen, wie mir eine Kollegin verriet, Ende April noch einmal Bodenfrost gab. An einem Ort, an dem Regen nicht der Normalzustand ist.2Angeblich regnet es in Oldenburg nur ca. 130 Tage im Jahr, aber wer das glaubt, war noch nicht in Oldenburg.

Eine der vielen schönen Gassen der Innenstadt in MontpellierDer Name Workation bedeutet Kombination aus ortsunabhängiger Erwerbsarbeit und Urlaub[sreise]. Die Arbeit in Erinnerung zu behalten, ist nicht immer einfach, wenn es so viel zu entdecken gibt. Ich mache lange Spaziergänge, vor allem am Lez, besuche Parks und schlendere durch die Innenstadt. Sobald die Sonne herumkommt, ziehe ich zum Arbeiten auf den Balkon um. Für ein Wochenende sind wir nach Carcassonne gefahren. Außerdem habe ich für die Zeit keine weiteren Aufträge akquiriert, sondern nur die „mitgenommen“, die ich schon hatte. Stattdessen nahm ich mir vor, meine Arbeitszeit mehr mit dem zu verbringen, was sich fast nach Freizeit anfühlt: Blogbeiträge schreiben, die Story Structure verschiedener Romane, Filme und Serien analysieren, Youtube-Videos mit Schreibtipps ansehen, Schreibratgeber lesen. Die Monate davor waren sehr arbeitsintensiv und ich konnte solche erholsamen Tätigkeiten gebrauchen.

Neues ausprobieren

Ich bin natürlich nicht nur wegen der Sonne von der Idee angetan gewesen. Ich meine auch, dass es hilfreich ist, ab und zu aus dem Alltag auszubrechen, um gedanklich neue Wege zu gehen.3Der Alltag als Freiberufliche Lektorin im Home Office ist eher eintönig. Ich mag Eintönigkeit, aber man kann dadurch auch in festgefahrenen Denkweisen erstarren. Mir die Zeit zu nehmen, zu überlegen, in welche Richtung ich mich beruflich entwickeln will und wie ich das bewerkstelligen kann. Zu schauen, welche Muster mir vielleicht nicht so gut tun und welche Abläufe ich stattdessen in meinen Alltag integrieren könnte. Und ich kann mich endlich um die Kleinigkeiten kümmern, die immer liegen bleiben.

Ich habe den Luxus, dass ich mir eine Workation als Freiberuflerin leisten kann. Und ich genieße ihn. Falls ihr ebenfalls Freiberufler seid, kann ich euch nur empfehlen, eine solche Gelegenheit zu ergreifen, sollte sie sich bieten.

Andrea wollte aus ihrer Workation lernen, sich täglich eine Auszeit zu nehmen.4Hat das eigentlich geklappt, Andrea? Ich dagegen habe bisher nur gelernt, dass ich nicht weiß, wie ich jemals wieder Oldenburger Klima aushalten soll.

Nächste Woche gibt es einen Beitrag, in dem ich u. a. von deutscher Literatur in französischen Buchhandlungen erzähle.

Schreiben oder plotten?

Plotten oder Drauflosschreiben? Eine Karte mit Stecknadeln gibt Orientierung.

Stephen King ist ein entschiedener Verfechter davon, die Geschichte während des Schreibens zu entdecken, Ken Follett und Syd Field sind entschiedene Verfechter davon, die Geschichte zu plotten. Auch ich bin schon gefragt worden, welche Einstellung ich vertrete.

Plotten? Drauflosschreiben? Das ist Typsache

Plotten oder Drauflosschreiben? Eine Karte mit Stecknadeln gibt Orientierung.Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wenn man die ganze Geschichte schon vor dem Schreibprozess kennt, kann einem beim Schreiben langweilig werden oder man muss vieles umschmeißen, wenn einem beim Ausarbeiten neue, vielversprechendere Ideen kommen. Wenn man einfach drauflosschreibt, mäandert die Geschichte eventuell vor sich hin, sodass man am Ende sehr viel streichen muss, oder man landet in einer Sackgasse.

Ich finde daher nicht, dass es nur eine legitime Vorgehensweise gibt. Besser zu viel schreiben und später einige Kapitel streichen müssen, als gar nicht zu schreiben, weil das Plotten einem den ganzen Spaß daran nimmt. Und wenn man sich nun mal, ohne vorher zu plotten, ständig in den unendlichen Möglichkeiten verirrt, die eine Geschichte bietet, dann plant man eben alles im Vorhinein. Oder nutzt die Grauzone dazwischen – die Wendepunkte plotten, den Rest entdecken; die Hauptfigur, ihre Motivation und Ziel festlegen, aber wie sie dahinkommt, der Figur überlassen …

Aber das Verständnis für Story Structure sollte da sein

In beiden Fällen ist es nur wichtig, dass ein Verständnis für Story Structure an sich da ist. Denn auch wer intuitiv schreibt, achtet dann schon im Prozess darauf, eine Struktur zu entwickeln, merkt, wenn die Geschichte auf der Stelle tritt oder die Klimax zu überstürzt kommt.

Und egal ob man geplottet oder die Geschichte schreibend entdeckt hat, sollte man den ersten Entwurf auf seine Struktur überprüfen. Auch beim Plotten kann sich der Midpoint zu weit nach hinten verschieben, wenn Szenen davor zu lang geworden sind, und Vorausdeutungen können fehlen.

Lasst euch auf jeden Falll nicht einreden, dass es nur einen richtigen Weg gibt zu schreiben. Wir sind verschieden, warum sollte es also nur eine Methode fürs Schreiben geben, die für alle funktioniert? Solange am Ende eine spannende Geschichte herauskommt, ist es mir gleich, ob ihr sie beim Schreiben entdeckt oder vorher geplottet habt.

Die Schreibstrategien

Diesen August habe ich an dem großartigen Seminar „Der Plot in Romanen: Struktur visualisieren | Über den Plot sprechen“ von Dr. Eva-Maria Lerche teilgenommen. Thema war auch, dass wir bei einer Auftragsanfrage versuchen, zu klären, welche Schreibstrategie (auch als Schreibtypen bekannt) unser Gegenüber benutzt – das ist vor allem wichtig, wenn wir im Schreibprozess unterstützen sollen.

Frau Lerche hat uns vier Strategien vorgestellt:

  • Drauflosschreiben
  • Planen
  • Puzzeln
  • Versionen schreiben

Die ersten beiden habe ich in diesem Blogbeitrag betrachtet. Puzzler sind die, die beim Schreiben hin- und herspringen und immer dort arbeiten, wo es ihnen gerade Spaß macht. Andere schreiben verschiedene Versionen eines Abschnitts, bis sie damit zufrieden sind.

Eine ausführlichere Erklärung zu den Schreibtypen liefert Dagmar Knorr. Wenn ihr anschließend wissen wollt, welche Schreibstrategie die richtige für euch ist, macht den Test auf der Seite. Ich bin ein Architekten-Eichhörnchen.

Ihr wollt tiefer einsteigen? Bitte hier entlang

Eine gute Anleitung für entdeckendes Schreiben findet ihr bei Steven James „Story Trumps Structure“. Allerdings kann ich das Buch nur für Fortgeschrittene empfehlen, weil James davon ausgeht, dass seine Leser*innen mit Story Structure und der Drei-Akt-Struktur vertraut sind.

K. M. Weiland hat mehr Bücher zum Plotten geschrieben, als ich wahrscheinlich Artikel dazu verfassen werde. Auf ihrem Blog gibt es eine Serie zum Thema.

Beispiele für gutes Schreiben sammeln

Ein Eichhörnchen bewacht einen Mini-Einkaufswagen mit Erdnüssen.

Wer gut schreiben will, muss viel lesen und viel üben. Ich finde aber auch, dass man viel sammeln muss. Sammeln? Genau, Beispiele dafür, wie man gut schreibt. Wieso muss ich an dieser Stelle lachen? Warum kann ich am Ende des Kapitels den Krimi nicht weglegen, sondern lese weiter? Weshalb habe ich das Gefühl, mich selbst auf der Brücke der Enterprise zu befinden? Wie machen die Autor*innen das nur? 

Eine Datei von 30 Seiten (wachsend)

Ein Eichhörnchen bewacht Erdnüsse in einem Einkaufswagen.Um dieses Mysterium zu lüften, habe ich mir eine Datei angelegt, in der ich Beispiele für gutes Schreiben sammele: lebendige Beschreibungen, treffende Metaphern, Köder, die die Leser*innen in die Geschichte ziehen, geschickte Vorausdeutungen, packende Emotionen etc. Diese nutze ich einmal für mich selbst, indem ich mir überlege, warum das Beispiel funktioniert. Ich nutze die Beispiele außerdem, um meinen Kund*innen zu verdeutlichen, wie sie pointierter, witziger, spannender … schreiben können. Aber auch für meinen Blog kann ich auf diesen Fundus nun zurückgreifen wie z. B. für den Artikel Story Structure: Köder mich. 🙂

Wann immer ihr auf einen fesselnden Buchanfang stoßt, schreibt ihn euch auf, überlegt, warum er euch fesselt und was ihr daraus für euer Schreiben oder Lektorieren lernen könnt. Und wenn ihr als Autor*in oder Lektor*in merkt, dass dem Anfang des Manuskripts die Spannung fehlt, dann könnt ihr zur Inspiration in eure gesammelten Beispiele schauen.

Beispiele gefällig?

Erste Sätze, die mich begeistern, sind z. B.

Die Stadt brannte. (Andrzej Sapkowski: Das Erbe der Elfen)

Gestern Nacht träumte ich, ich sei wieder in Manderley. (Daphne du Maurier: Rebecca)

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm. (Stephen King: Schwarz)

Wenn es um Beschreibungen sowie Vergleiche und Metaphern geht, sind meine Favoriten Georges Simenon, Alice Munro und Raymond Chandler.

Es regnete noch immer, noch immer dieser Nieselregen, der sich auf die Scheiben legte, stumm und trüb vom Himmel fiel, und einem das Gefühl gab, man lebe in einem Aquarium. (Georges Simenon: Maigret und die Aussage des Ministranten)

[…] obwohl das die Jahreszeit war, in der sich Schneewehen wie schlafende Wale um das Haus legten […] (Alice Munro: Jungen und Mädchen)

Der Verkehrslärm vom Boulevard kam in Wellen, wie Brechreiz. (Raymond Chandler: Lebwohl, mein Liebling)

Habt ihr eine solche Datei bereits? Oder habt ihr vor, jetzt eine anzulegen? Was sind für euch Beispiele für gutes Schreiben?

Ein Lektorat ist nicht günstig, aber ihr könnt es günstiger machen

Hilfe beim Lektorat von Manuskripten: Mein Regal mit Schreibratgebern

Hilfe beim Lektorat von Manuskripten: Mein Regal mit SchreibratgebernEin Lektorat bei freiberuflichen Lektor*innen kostet viel Geld.1Und anschließend kommt noch das Korrektorat. Je mehr an einem Manuskript zu tun oder je länger es ist, desto teurer wird es. Dennoch sollten alle Selfpublisher*innen, die professionell schreiben wollen, eins in Auftrag geben. Und das sage ich nicht, weil ich damit mein Geld verdiene, sondern weil ich der Überzeugung bin, dass ihr davon profitieren werdet.

Wie können Schreibende nun dafür sorgen, dass der Preis für ein Lektorat günstiger ausfällt? Indem man bessere Manuskripte schreibt. Schön, aber wie erreicht man das?

Üben, üben, üben

Schreiben muss man lernen. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto besser wird man darin – wie das bei allen Tätigkeiten der Fall ist. Stephen Kings erster Ratschlag lautet, viel Belletristik zu lesen, insbesondere in dem Genre, in dem man selbst schreibt.2Stephen King: „Das Leben und das Schreiben“ Aber das allein reicht nicht. Man muss sich auch mit den Techniken des Schreibens auseinandersetzen, indem man Schreibratgeber liest und entsprechenden Websites und YouTube-Kanälen folgt. Und dann übt, es umzusetzen. Falls man das Geld und die Zeit hat, sind sie gewinnbringend in Fortbildungen und Studiengänge zum Schreiben investiert.

Das hört sich zwar nicht unbedingt günstig an, aber auf lange Sicht zahlt es sich aus. Entweder weil der Preis für das Lektorat sinkt oder weil im Lektorat für denselben Preis mehr Feinschliff gemacht werden kann.

Die erste Fassung ist fertig

Nachdem das Manuskript fertig ist, sollte man es einige Wochen weglegen und danach mit Distanz noch einmal durchlesen und überarbeiten. Wenn euch der Text fremd erscheint, habt ihr den nötigen Abstand. Jetzt werdet ihr selbst schon einige Patzer bemerken und es wird euch leichter fallen, liebgewonnene Szenen zu streichen, die aber keine Bedeutung für die Geschichte haben.

Danach sollte man das Ganze an einige Personen geben und um eine Rückmeldung bitten. Diese sollten folgende Kriterien erfüllen:

  1. Sie werden ehrlich ihre Meinung sagen, auch wenn die Kritik unangenehm ist.
  2. Sie sind begeisterte Leser*innen – am besten des Genres, in dem ihr schreibt – und haben deswegen Ahnung von guter und schlechter Literatur.
  3. Noch besser ist es, wenn sie sich mit dem Thema auskennen, um das es geht: Demenz, Quantencomputer, die erfolglose Monmouth Rebellion von 16853Falls ihr zufällig dazu jemanden sucht, bin ich eure Lektorin..

Testleser*innen findet man auch im Internet, z. B. auf lovelybooks oder Facebook. Ihr Feedback nutzt ihr, um euer Manuskript weiter zu verbessern, bevor ihr es in ein professionelles Lektorat gebt.

Ein teilweises Lektorat

Einige Lektor*innen machen Probelektorate von ein paar Seiten oder geben euch zumindest Tipps, nachdem sie in euer Manuskript geschaut haben. Was ihr dadurch lernt, könnt ihr schon vor dem Lektorat umsetzen, nicht nur auf den Probeseiten, sondern im gesamten Text.

Eine andere Möglichkeit ist, nur ein Lektorat der ersten Kapitel (ca. 50 Seiten) in Auftrag zu geben. Was euch dort geraten wird, wendet ihr ebenso auf das ganze Manuskript an … und auf alle folgenden.4Auch um seine Chancen, bei einem Verlag angenommen zu werden, zu verbessern, kann man ein Lektorat der ersten 50 Normseiten durchführen lassen. Die Lösung bietet sich an, wenn ihr nicht ausreichend Geld für ein komplettes Lektorat habt.5Falls es für euch schwierig ist, eine größere Summe auf einmal zu überweisen, fragt nach Ratenzahlungen. Ich z. B. akzeptiere sie. Dafür müsst ihr dann selbst mehr Arbeit hineinstecken. Andererseits übt ihr dann gleich wieder (s. o.), was dazu führt, dass das nächste Lektorat günstiger wird. 😉

Die Suche nach einer Lektorin/einem Lektor

Mir und auch vielen Kolleg*innen passiert es immer wieder, dass die Frage kommt, ob man direkt anfangen könne. Das kann klappen, Leerlauf kommt vor. Andererseits ist es möglich, dass ich für die nächsten zwei oder sechs Monate ausgebucht bin. Oder dass ich aus verschiedenen Gründen nicht die richtige Lektorin bin, z. B. weil ich keine Thriller annehme. Es ist daher sinnvoll, sich frühzeitig auf die Suche nach einer Lektorin oder einem Lektor zu begeben. Ihr findet uns z. B. über die Datenbank des VFLL oder indem ihr eine Anfrage über unsere Mailingliste stellt oder auf lektorat.de.

Egal, wer sich am Ende eures Manuskripts annimmt, wir sind alle glücklich, wenn wir eins auf hohem qualitativen Niveau erhalten und uns größtenteils nur um Feinschliff zu kümmern brauchen. Und ihr seid glücklich, weil das Lektorat günstiger ist, als erwartet.

Bessere Manuskripte schreiben durch

Allgemeine Schreibratgeber

Roy Peter Clarke: Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben

Sylvia Englert: So lektorieren Sie Ihre Texte. Verbessern durch Überarbeiten

Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Sol Stein: Über das Schreiben

Außerdem existieren viele Ratgeber zu speziellen Themen wie Spannung, Erzählperspektive, Charaktere, Story Structure, bildhaftem Schreiben etc.

Das Internet ist wenig überraschend eine Fundgrube. Hier aus einem unermesslich großen Angebot fünf Links:

Helping writers becoming authors von K. M. Weiland

Schriftzeit von Stephan Waldscheidt

Annika Bühnemann

Writers helping writers von Angela und Becca

Writer Brandon McNulty

Oder möchtet ihr wissen, was andere Lektorinnen zum Schreiben zu sagen haben? Dann schaut doch mal bei meinen Kolleginnen Nina Firl und Anya Lothrop vorbei.

Fortbildungen und Studiengänge

Akademie für Autoren

Textmanufaktur

VFLL

Es war einmal … und dann passierte … und so endete es

Ein Irrgarten aus grünen Hecken: Eine gute Story Structure hilft, der Handlung zu folgen.

Wie erzählen wir Geschichten? Wie bauen wir sie auf? Das Thema Story Structure lässt mich seit ein paar Jahren nicht mehr los. Wenn wir anderen von unseren Erlebnissen berichten, dann strukturieren wir diese Erzählung, auch wenn es uns nicht bewusst ist, und zwar immer wieder nach den gleichen Mustern. Von der Heldenreise haben sicher viele von euch schon einmal gehört, im Westen beliebt sind außerdem die Drei-Akt-Struktur und das Beat Sheet, im Osten herrscht die Vier-Akt-Struktur vor, in China als Qi Cheng Zhuan Jie, in Japan als Kishōtenketsu bekannt.

Diese Modelle mögen unterschiedlich sein, aber es gibt einige Gemeinsamkeiten. Bevor ich also Blogartikel über verschiedenen Modelle schreibe, möchte ich anhand dieser Gemeinsamkeiten erklären, was Story Structure ist.

Logischer Ablauf

Eine Insel ist wie der Schädel eines Tyrannosaurus Rex geformt, wobei der vordere Teil unter Wasser ist. Story Structure sorgt in einer Geschichte für Spannung.Bei der Errichtung eines Vergnügungsparks wird ein Arbeiter durch einen Dinosaurier tödlich verletzt. Daraufhin werden drei Wissenschaftler eingeladen, um dessen Sicherheit zu untersuchen. Die Tour verläuft zunächst nach Plan, aber dann legt der Informatiker, der für eine Konkurrenzfirma spioniert, den Park lahm, um Dino-Embryos zu stehlen. Die Dinosaurier brechen aus und alle Besucher der Insel kämpfen um ihr Leben. Es gelingt, die Computersysteme wieder ans Laufen zu bekommen. Die Überlebenden verlassen die Insel.

Romeo trifft Julia und verliebt sich unsterblich. Doch ihre Familien sind verfeindet und dürfen nicht von ihrer Liebe erfahren. Sie heiraten heimlich, aber Julias Familie will sie dazu zwingen, Paris das Ja-Wort zu geben. Julia täuscht ihren Tod vor, um dem zu entgehen. Romeo, den die Nachricht nicht rechtzeitig erreicht, dass es nur ein Scheintod ist, bringt sich an ihrem Grab um. Als Julia erwacht, findet sie den toten Romeo und erdolcht sich.

Fällt euch etwas auf? Geschichten werden typischerweise chronologisch erzählt. Aber warum? Damit die Zuhörenden, Zuschauenden oder Lesenden folgen können. Die Ereignisse sind in einer logischen Reihenfolge angeordnet, eins ergibt sich aus dem anderen. Geschichten müssen nicht chronologisch erzählt werden, aber die meisten tun es. Story Structure ist logischer und daher meist chronologischer Ablauf.

Fokussierung

Sowohl Romeo als auch Julia verbringen ihren Tag noch mit vielen anderen Dingen, als sich nach dem anderen zu sehnen und sich heimlich zu treffen. Auf dem Flug zum Jurassic Park haben alle eine Menge Zeit, sich zu unterhalten, aber wir bekommen davon nur ein paar Minuten Dialog mit. Die, in denen wir den dritten Wissenschaftler kennenlernen und seine Zweifel an dem Vorhaben.

Ein Irrgarten aus grünen Hecken: Eine gute Story Structure hilft, der Handlung zu folgen.Der Fokus liegt auf dem, was für die Handlung relevant ist. Vielleicht hat Ian Malcolm während des Flugs eine amüsante Geschichte über die letzte Konferenz, die er besucht hat, zum Besten gegeben, aber wenn diese Anekdote nichts mit der Handlung und dem Thema des Films zu tun hat, sorgt sie nur dafür, dass man sich fragt, worum sich die Geschichte drehen soll. In einer guten Story Structure sorgt der Schreibende dafür, dass der rote Faden nicht verlorengeht und leitet sein Publikum sicher vom Anfang zum Ende.1Für uns von westlich Geschichten geprägte Menschen kann es erscheinen, als wären asiatische Geschichten weniger fokussiert.

Spannung

Spannung erreicht man zum einen über Fokussierung – wer will schon wissen, was Julia jeden Morgen zum Frühstück isst, oder dreißig Minuten Alan Grant und Ellie Sattler dabei beobachten, wie sie ein Dinosaurierskelett ausgraben?

Story Structure ist, die Erzählung so anzuordnen, dass sie spannend ist: Dinge zu verheimlichen, Andeutungen zu machen, aber nicht aufzulösen, und immer wieder überraschende Wendungen einzubauen, die der Geschichte eine neue Richtung geben. Denn wenn wir das zwanzigste Mal sähen, wie der T-Rex plötzlich aus dem Wald hervorbricht und Alan Grant und die beiden Kinder jagt, ist es nicht mehr spannend, sondern langweilig. Story Structure ist daher, rechtzeitig etwas Unerwartetes passieren zu lassen, damit die Geschichte spannend bleibt.

Wendepunkte

Ohne den tödlichen Unfall zu Beginn gäbe es keine Sicherheitsüberprüfung des Jurassic Park. Ohne den Ausfall der Systeme im Park könnte der T-Rex nicht aus seinem Gehege entkommen, die Fahrzeuge der Besucher angreifen und einen netten Ausflug in einen Kampf ums Überleben verwandeln.

Als Romeo sich in Julia verliebt, gibt das seinem Leben eine Wendung. Als Julia erfährt, dass sie Paris heiraten soll, zwingt das die Liebenden, eine Entscheidung zu treffen. Sie können nicht weitermachen wie bisher.

Dieses Unerwartete, das das Leben der Protagonisten durcheinanderwirbelt, sind Wendepunkte und sie treiben die Handlung voran. Modelle zu Story Structure konzentrieren sich auf diese Wendungen. Ohne sie gäbe es keine Geschichte. Verliefe der Besuch des Jurassic Parks problemlos, bekäme das Vorhaben grünes Licht und er wäre im nächsten Jahr eröffnet worden. Wären die Familien von Romeo und Julia nicht verfeindet, hätte das Stück nicht mit ihrem Tod geendet. Wendungen müssen keine Probleme darstellen, sie können auch etwas Positives sein. Entscheidend ist nur, dass sie der Erzählung eine neue Richtung geben.

Ich hoffe, ich konnte damit ein grundlegendes Verständnis für Story Structure schaffen. Da mich Story Structure unglaublich fasziniert, werden zu diesem Thema wahrscheinlich mehr Artikel folgen als zu jedem anderen. Und die noch tiefer einsteigen und dabei selbst Gelegenheit zum Üben haben wollen, denen empfehle ich meine Fortbildungen dazu.

Wenn ihr euch fragt, ob ihr besser erst plottet und dann schreibt oder den Plot beim Schreiben entwickeln könnt, lest euch doch meinen Artikel dazu durch.

Fantasy: Schon mal Xianxia ausprobiert?

Blick in eine Buchhandlung in Japan

Blick in eine Buchhandlung in JapanHat euer Interesse an Fantasy die letzten Jahre auch stark nachgelassen? Mir zumindest ging es so. Denn bevor ich einen Fantasyroman aufschlage, kann ich schon ziemlich genau vorhersagen, was mich erwartet: eine Welt, die dem (west-)europäischen Mittelalter, (west-)europäischer Kultur und (west-)europäischer Landschaft nachempfunden ist, d. h. mit Königreichen, Kriegen, stereotypen Geschlechterrollen, Magie, die von Hexen (auf Besen, halten Katzen) oder Zauberern (mit Zauberstab, tragen einen weißen, langen Bart) praktiziert wird, einem oder einer Auserwählten und vielen weißen Männern. Manchmal heißen die Protagonisten sogar Jim, John und Joe. Auch wenn die Handlung fantastisch ist, langweilen mich diese immergleichen Settings.1Okay, und die stereotypen Geschlechterrollen und die deutliche Unterrepräsentation von weiblichen Protagonisten regen mich auf. Gerade in der Fantasy hat man doch so viel Freiheit, ungewöhnliche Welten zu entwerfen.

Dann bekam ich „The Untamed“ empfohlen

Tweet zur chinesischen Fantasyserie The Untamed: Ich war noch nie von irgendetwas in meinem Leben besessener.Die Serie,2die von der Webnovel Mó Dào Zǔ Shī (The Grandmaster of Demonic Cultivation) von Mo Xiang Tong Xiu adaptiert wurde. die zum chinesischen Fantasy-Untergenre Xianxia3Das zweite wichtige chinesische Subgenre ist Wuxia.gehört, war 2019 eine der erfolgreichsten in China.4Insbesondere die Serie hat auch eine große und obsessive Anhängerschaft außerhalb. Nachdem zahlreiche Fanübersetzungen der Webnovel entstanden, haben sich 2021 Tokyopop fürs Deutsche und Seven Seas Entertainment fürs Englische die Rechte gesichert. Ich hatte zuerst Probleme, mich in dieser Welt zurechtzufinden, denn

  1. sie beruht auf einer ganz anderen Kultur. Ich kenne die historischen Personen nicht, auf die Bezug genommen wird, nicht die Hochzeitsbräuche, nicht die daoistischen Konzepte, die das Magiesystem beeinflusst haben, und nicht die symbolische Bedeutung von Kaninchen in der chinesischen Mythologie;
  2. chinesische Fantasy unterscheidet sich stark von unserer. Die Welt entspricht oft dem chinesischen Mittelalter, Clans ersetzen unsere Adelsgesellschaft, statt Magie wird Kultivierung genutzt und Kultivierer fliegen5Surfen genaugenommen. auf ihren Schwertern. Außerdem gibt es viele asiatische Männer, zu häufig stereotype Geschlechterrollen und wenig Frauen.

Ich war stundenlang damit beschäftigt, zur Serie und zu Xianxia zu lesen, was ich nur finden konnte.6Man kann auch folgen, ohne das zu tun, aber es macht es deutlich schwieriger. Sogar die Erzählstruktur entspricht nicht unseren Erwartungen. Genau das war es aber, was mich so fasziniert hat: Chinesische Fantasy ist anders, ungewohnt, neu.7Das nutzt sich nach einer Weile natürlich ab, weil es auch in Xianxia und Wuxia Genrekonventionen gibt, die sich wiederholen.8Abgesehen davon sind „The Untamed“ und z. B. „Word of Honor“ brillante Serien.

Und davon wünsche ich mir mehr

Als ich vorletztes Jahr versuchte, Krimis außerhalb unseres westlichen Kontexts zu finden, stieß ich zwar auf Bücher, die in anderen Kulturen spielen und einen einheimischen Polizisten als Hauptfigur haben, aber alle stammen von weißen Männern, die ein paar Jahre dort gelebt haben. Das ist nicht dasselbe wie ein Krimi (oder Fantasyroman) von koreanischen, peruanischen oder nigerianischen Autor*innen.9Auf der Suchen nach einem Blog über fantastische, asiatische Literatur habe ich drei Krimiempfehlungen aus Asien gefunden. Leider ist es jetzt zu spät, seitdem ich mich praktisch nur noch für chinesische Fantasy interessiere.

Die letzten Jahre hat sich auf dem deutschen Buchmarkt etwas getan hat. Schwarze Fantasy- und Science-Fiction-Autor*innen wie Nnedi Okorafor und N. K. Jemisin sind mehr in den Fokus gerückt und Liu Cixin konnte mit „Die drei Sonnen“ einen großen Erfolg verbuchen.

Literatur weltweit: Bücher chinesischer und afroamerikanischer AutorenAber nichtwestliche Literatur wird leider nach wie vor vernachlässigt. In Buchhandlungen und Bibliotheken findet man fast nur westeuropäische und nordamerikanische Autor*innen. Sie sind es, die normalerweise an Schulen gelesen werden und in Fach- und Sachbüchern besprochen werden. Die meisten Romane werden aus dem Englischen übersetzt, weswegen Stimmen aus nicht-englischsprachigen Ländern fehlen.

Das führt zu einer bestimmten, falschen Denkweise: Ich habe noch nie von einem berühmten chinesischen Autor gehört, also gibt es wohl keine. Wir haben in der Schule nie einen Klassiker aus Afrika besprochen, also gibt es wohl keine. Der deutsche Wikipedia-Eintrag zu Fantasy dreht sich nur um westliche, also gibt es wohl keine erwähnenswerte in anderen Kulturen und Ländern.

So entgehen uns großartige Geschichten, Einblicke in andere Kulturen und Sichtweisen sowie erfrischend andere Erzählweisen. Xianxia, Wuxia, Xuanhuan oder Afrofuturismus sind nur ein paar Beispielgenres aus der weiten, unbekannten Welt nichtwestlicher Literatur. Wenn ihr offen dafür seid, mal etwas anderes auszuprobieren, dann habe ich am Ende noch ein paar Tipps für euch.

Zum Stöbern laden ein

Asian Fantasy Books auf Goodreads

Youtube-Kanal von AvenueX zu chinesischen Drama-Serien10Viele chinesische Serien beruhen auf Webnovels/Romanen. Dieser Kanal ist daher ein guter Startpunkt, um nach Xianxia- und Wuxialiteratur zu suchen – oder damit anzufangen, chinesische Serien zu schauen.

Interkontinental, ein Verein zur Förderung afrikanischer Literatur

Eine große Auswahl asiatischer Serien findet ihr legal und kostenlos auf Rakuten Viki11Auch „The Untamed“ 🙂

Reading Black Futures mit einer Liste weiblicher und männlicher phantastischer Schwarzer Autoren