Keine Klassiker: 9 lesenswerte, alte Krimis

Eine Schachtel mit Schokoladenpralinen

Als gebildeter Mensch muss man Klassiker gelesen haben? Nicht nötig, sage ich. Lest lieber ältere Bücher, die keine Klassiker sind, aber immer noch gut unterhalten – für diesen Beitrag habe ich alte Krimis zusammengetragen. Denn warum sollten wir uns auf Klassiker konzentrieren, statt darauf, welche Romane uns Freude bereiten?

Es gibt viele Bücher und Autoren, die heute kaum jemand mehr kennt, obwohl sie zu ihrer Zeit äußerst populär waren. Warum? Und warum haben andere wie Sherlock Holmes bis heute überdauert? Ehrlich gesagt keine Ahnung. Aber auch wenn ich das nicht weiß, kann ich euch immerhin die empfehlen, die meiner Meinung nach zu Unrecht vergessen sind. Zum Glück ist es in Zeiten des Internets viel einfacher geworden, solche Bücher wieder aufzuspüren. Im besten Fall als gemeinfreie Version z. B. auf Projekt Gutenberg oder Project Gutenberg1Der Name der beiden Websites mag beinahe gleich sein, aber es sind zwei unabhängige digitale Bibliotheken. sowie als Audiobücher bei LibriVox.

Alte Krimis

Eigentlich hatte ich vor, nur einen Artikel über ältere Nicht-Klassiker zu verfassen. Aber womit er sich füllte, waren zu mehr als der Hälfte Krimis, sodass ich schließlich beschlossen habe, ihn zu splitten. Hier kommt also der erste Teil über alte Krimis, die sich noch zu lesen lohnen.

Das Genre Krimi ist erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden, hervorgegangen aus Reportagen über wahre Kriminalfälle, die zu der Zeit sehr beliebt waren. Älter als ca. zweihundert Jahre kann daher kein Buch auf dieser Liste sein. Obwohl ich einige Krimis aus dem 19. Jahrhundert ausgegraben habe, haben es nur zwei auf meine Liste geschafft. Warum? Unter anderem weil die älteren Krimis häufig ausschweifend erzählt sind und ich mich oft über die stereotype Darstellung von Frauen geärgert habe. Die Jahre von 1920 bis 1954 dagegen werden als das goldene Zeitalter des Krimis bezeichnet. Das schlägt sich auf meiner Liste nieder, denn auch mir gefallen deutlich mehr Krimis aus den 1920ern als aus den früheren Jahrzehnten. Mit den 1920ern ist in meinem Beitrag auch Schluss, damit die Bezeichnung „alt“ noch eine Bedeutung hat.

Robert van Gulik (hrsg.): Merkwürdige Kriminalfälle des Richters Di (Anf./Mitte 19. Jh.)

Der Autor des 1949 von Robert van Gulik übersetzten Krimis ist unbekannt, genau wie das Erscheinungsdatum. Über Richter Di (630-700) wissen wir mehr, er ist eine historische Figur der Tang-Dynastie. Der Krimi behandelt seine Zeit als Richter in der Provinz Shandong.

In einem Dorf werden zwei Seidenhändler ermordet und ihre Ware gestohlen. So scheint es jedenfalls, bis herauskommt, dass einer der Toten ein Bauer aus der Umgebung und der zweite Seidenhändler verschwunden ist. Während sich Richter Di incognito in der Gegend umhört, stößt er auf den plötzlichen Tod eines jungen Ladenbesitzers, der ihm verdächtig vorkommt. Er beschließt zu ermitteln, obwohl es keine Anklage gibt. Die Witwe ist darüber sichtlich erbost und Richter Di fragt sich, warum. Und als ob zwei Fälle nicht genug wären, wird er benachrichtigt, dass die Braut des Sohnes eines hochrangigen Beamten in ihrer Hochzeitsnacht vergiftet wurde.

Befremdlich für uns ist die Anwendung und Beschreibung von Folter sowie das Auftreten von Geistern und seherischen Träumen, die Richter Di bei der Aufklärung helfen. Andererseits lernen wir etwas über das Rechtssystem und die Gesellschaft Chinas im 7. Jahrhundert, was ich sehr interessant fand.

Wilkie Collins: Gesetz und Frau (1875)

Wilkie Collins, Zeitgenosse und Freund von Charles Dickens, war mit seinen Mystery-Krimis prägend für die Entwicklung des Genres, insbesondere mit „Der Mondstein“. Er neigt zu Langatmigkeit, aber das verzeihe ich ihm wegen seiner faszinierenden Charaktere und komplexen Handlungen. „Gesetz und Frau“ soll der erste Krimi mit einer Detektivin sein.

Die Flitterwochen haben gerade erst begonnen, da entdeckt Valeria, dass ihr Ehemann sie unter einem falschen Namen geheiratet hat. Er weigert sich, ihr den Grund dafür zu nennen, weswegen sie kurzerhand selbst Nachforschungen anstellt. Sie findet heraus, dass er angeklagt war, seine erste Frau ermordet zu haben. Obwohl es nicht genug Beweise für eine Verurteilung gab, war die einhellige Meinung, er sei der Täter. Fest von seiner Unschuld überzeugt und entschlossen, diese zu beweisen, begibt Valeria sich auf Spurensuche, wobei sie auf die Hilfe verschiedener Freunde, u. a. eines alternden Casanovas und eines genialen Exzentrikers im Rollstuhl2Warnung vor Ableismus, setzt.

Wem das Buch gefallen hat, dem schlage ich als zweiten Roman von Collins „Die Frau in Weiß“ vor.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg.

Gaston Leroux: Das Geheimnis des gelben Zimmers (1907)

Gaston Leroux` Ruhm begründet sich auf „Das Phantom der Oper“. Aber er hat auch eine Reihe von Krimis geschrieben. Bei „Das Geheimnis des gelben Zimmers“ handelt es sich um eins der frühesten Locked-Room-Mysteries.

Ein Schloss mit hufeisenförmigem Grundriss aus weißem Stein mit blauem Dach.Mathilde Stangerson arbeitet mit ihrem Vater zurückgezogen auf einem Schloss an einer wichtigen wissenschaftlichen Entdeckung. Eines Nachts ertönen aus ihrem Zimmer Schreie, Lärm und Schüsse. Ihr Vater bricht mit einem Diener die verschlossene Tür auf und findet seine Tochter lebensgefährlich verletzt. Vom Täter aber, der unmöglich aus dem verschlossenen Raum entkommen konnte, fehlt jede Spur.

Der junge Reporter Joseph Rouletabille verschafft sich durch seine Bekanntschaft mit dem Verlobten des Opfers Zutritt zum Tatort und untersucht den Fall. Dabei steht er im Wettstreit mit dem bedeutendsten Ermittler der Polizei, Frédéric Larsan. Bald wird klar, dass sowohl der Verlobte Robert Darzac als auch Mathilde Stangerson Informationen zurückhalten. Dadurch fällt Larsans Verdacht auf Darzac. Rouletabille aber hat seine eigene Theorie. Währenddessen kommt es zu weiteren Einbrüchen und Anschlägen auf Mathildes Leben.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg oder hören bei LibriVox.3Es findet sich auf beiden Seiten auch im französischen Original.

Mary Roberts Rinehart: Die Wendeltreppe (1908)

Es heißt, zur Zeit ihrer größten Polpularität habe Roberts Rinehart Agatha Christie übertrumpft. Sie war jedenfalls mit über vierzig Romanen und unzähligen Kurzgeschichten nicht weniger produktiv.

Rachel Innes lässt sich von ihrem Neffen und ihrer Nichte überreden, im Sommer ein Haus auf dem Land zu nehmen. Doch der Butler warnt sie vor einem Geist, der im Haus umgeht, und in der Nacht hört sie mysteriöse Geräusche.

Am nächsten Tag treffen ihr Neffe Halsey, ihre Nichte Gertrude sowie deren Verlobter Jack Bailey ein. Auch die Nacht verläuft nicht ohne Zwischenfall – von einem Knall aufgeweckt findet Rachel eine Leiche am Fuß einer Wendeltreppe. Es handelt sich um Arnold Armstrong, den Sohn des Hausbesitzers. Halsey und Jack sind verschwunden. Da beide mit Arnold kein gutes Verhältnis hatten, fällt der Verdacht auf sie. Rachel beschließt, solange in dem Haus zu bleiben, bis die wahren Schuldigen gefunden sind. Davon lässt sie sich auch nicht durch durchgehende nächtliche Ruhestörungen – Einbrüche, Klopfen, herunterfallende Gegenstände, einen Brand – und einen weiteren Toten abbringen. Stattdessen begibt sie sich selbst auf „Geisterjagd“.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg oder hören bei LibriVox.

Ricarda Huch: Der Fall Deruga (1917)

Ricarda Huch schrieb sonst Hochliteratur und gab selbst an, diesen Krimi nur wegen des hohen Honorars verfasst zu haben. Für mich gehört er aber zu den besten Krimis, die ich je gelesen habe.

Der italienische Arzt Sigismondo Enea Deruga ist des Mordes an seiner Ex-Frau Mingo Swieters angeklagt. Eine Obduktion hatte ergeben, dass sie nicht an Krebs, sondern an einem Gift gestorben war. Ihr Testament änderte sie kurz vor ihrem Tod und hinterließ ihr Vermögen Deruga, der kein stichhaltiges Alibi für ihren Todestag vorweisen kann. Vor Gericht wird die intensive, von Hassliebe geprägte Ehe der beiden aufgearbeitet und der schillernde Charakter Derugas von allen Seiten beleuchtet. Dabei wird deutlich, dass er etwas verbirgt, was ihn entlasten könnte. Aber warum? Ein kurz vor Prozessende aufgetauchtes Beweisstück gibt dem Fall eine überraschende Wendung.

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Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem: Das Rosazimmer (1920)

Zu ihrer Zeit war Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem eine der beliebtesten Unterhaltungsautorinnen in Deutschland. Nachdem ich „Das Rosazimmer“ gelesen habe, kann ich nachvollziehen, warum. Leider finden sich von ihren vierzig Romanen nur wenige auf Projekt Gutenberg. Daneben veröffentlichte sie Novellen, Theaterstücke, Gedichtbände, Biografien und anderes.

Dem adligen Diplomaten Gian Terraforma wird ein hochgeheimes, brisantes Dokument gestohlen, in seinem Palazzo in Venedig, aus einem abgeschlossenen Raum, er selbst mit einem Schlafmittel außer Gefecht gesetzt. Gleichzeitig reist seine Schwägerin Xenia, Witwe seines Bruders, die am Vortag überraschend zu Besuch kam, heimlich ab. Hat sie etwas mit dem Diebstahl des Dokuments zu tun? Und wo ist sie jetzt? Der Detektiv Doktor Windmüller wird vom italienischen Geheimdienst damit beauftragt, das Dokument wiederzubeschaffen. Als väterlicher Freund richtet er den am Boden zerstörten Terraforma auf und nimmt auch an dessen Famile lebhaft Anteil. Aber Xenia bleibt genau wie das Dokument verschwunden. Was hat das Rosazimmer, in dem sie entgegen aller Gewohnheit die Nacht verbrachte, damit zu tun?

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Bernard Capes: The Skeleton Key (1920)

Auch Capes war mit mehr als vierzig Romanen ein umtriebiger Autor: Krimis, Geistergeschichten, historische und Liebesromane und Gedichte gehören zu seinem Werk. „The Skeleton Key“ ist sein letztes Buch, das posthum veröffentlich wurde, nachdem er an der Spanischen Grippe gestorben war.

Vivian Bickerdike wird von seinem Freund Hugo Kennett auf den Landsitz der Familie eingeladen. Hugo ist nervös und reizbar, möchte sich aber Bickerdike nicht anvertrauen. Dann wird die Hausangestellte Annie Evans mit Hugos Gewehr in einem Wäldchen erschossen. Glücklicherweise ist Inspektor John Ridgway von Scotland Yard gerade in der Nähe und wird herbeigerufen.

Hauptverdächtiger ist schnell der französische Diener des mysteriösen Barons Le Sage, der ebenfalls zu Besuch ist. Er hatte eine eindeutige Zurückweisung durch die junge Frau nicht gut aufgenommen. Aber die Vergangenheit von Annie Evans gibt Rätsel auf: Warum hat sie nie über ihr früheres Leben gesprochen? Warum melden sich trotz ausführlicher Aufrufe keine Verwandten oder Freunde? Warum hat sie alle Briefe vernichtet, die sie geschickt bekommen hat? Auf wen wartete sie in dem Wäldchen? Bickerton verdächtigt den Baron, viel tiefer in den Mord verstrickt zu sein als angenommen.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg.

Henry Christopher Bailey: Call Mr Fortune (1921)

Bailey schrieb zahlreiche Liebes- und historische Romane, Krimis, Theaterstücke, Gedichte und arbeitete als Journalist. Sein umfangreiches Werk schützte aber auch ihn leider nicht vor dem Vergessenwerden.

„Call Mr Fortune“ ist der erste Auftritt von Reggie Fortune, einem jungen Arzt, der von der Polizei immer wieder zu Rate gezogen wird, nicht nur zu medizinischen Fragen. Sein Scharfsinn lässt ihn Hinweise entdecken und Schlüsse ziehen, die wesentlich zur Aufklärung von Verbrechen beitragen. Er ist der Protagonist mehrerer Kurzgeschichtensammlungen und einiger Romane.

In diesem Kurzgeschichtenband geht es um den Erzherzog von Böhmen, der auf einem Spaziergang von einem Auto erfasst wird und dessen Frau eine Vorliebe für rasantes Fahren hat, um eine exzentrische Schauspielerin, deren Begleiterin nicht aufgewacht sein will, als diese im selben Raum ermordet wird, um verratene Staatsgeheimnisse und mehr.

Kostenlos lesen auf Englisch im Project Gutenberg oder hören bei LibriVox.

Moritz Wilhelm Sophar: Dunkle Taten (1924)

Über Sophar findet sich nicht viel Internet. Er hat eine Handvoll Krimis verfasst und übersetzte einige Romane aus dem Englischen ins Deutsche. „Dunkle Taten“ liest sich sehr vergnüglich. Und das obwohl der Krimi nur so vor unwahrscheinlichen Zufällen strotzt, aber da er sich selbst nicht allzu ernst nimmt, macht das nichts.

Der windige Justus Wise, der bereits mit mehreren Geschäftsideen gescheitert ist, hat eine neue Idee: Privatdetektiv. Im frisch bezogenen Büro wartet er auf Klienten, als sein Assistent eine Entdeckung macht – im Kamin steckt ein Toter!

Die Ankunft eines jungen Mannes hindert sie daran, ihn näher zu untersuchen. George Millibank möchte eine Vermisstenanzeige für den vermögenden Unternehmer West aufgeben, der seit vier Tagen nicht gesehen wurde. Nach dem Streit mit einem Fremden hat er zudem eine starke Wesensänderung durchgemacht und die Verlobung seiner Tochter mit Millibank gelöst. Die Beschreibung passt auf den Toten im Nebenzimmer. Als Wise jedoch die Identität des Toten feststellen will, ist der Raum leer. Jemand muss durch die Hintertür eingedrungen und die Leiche weggeschafft haben.

Am Abend überrascht sie ihr Klient mit der Nachricht, dass Herr West wieder aufgetaucht sei. Obwohl er keinen Auftrag mehr hat, beschließt Wise zu ermitteln. Niemand hat das Recht, ihm seinen Toten zu stehlen und seinen ersten Fall wegzunehmen!

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Earl Derr Biggers: Das Haus ohne Schlüssel (1925)

„Das Haus ohne Schlüssel“ ist der erste Krimi von sechsen mit dem Detektiv Charlie Chan. Leider ist Derr Biggers bereits 1933 mit nur 48 Jahren gestorben, sonst wären es wahrscheinlich mehr geworden. Die Verfilmungen in den 30ern und 40ern waren äußerst populär, gerade in China, weil eine chinesische Figur endlich einmal nicht als Bösewicht herhalten musste.

Minerva Winterslip fühlt sich so richtig wohl in Hawai und macht keine Anstalten in die Stadt ihrer Vorfahren, nach Boston, zurückzukehren. So wird ihr spießiger Neffe John Quincy ausgesandt, um sie zu überreden, heimzukehren. Aber in der Nacht vor seiner Ankunft wird sein Onkel Dan, bei dem sich Minerva aufhält, ermordet. Über die zwielichtigen Methoden, mit denen Dan zu Wohlstand kam, gibt es viele Gerüchte. Liegen dort die Gründe für den Mord?

John Quincy, der nichts weniger leiden kann als eine Störung seines regelmäßigen, vertrauten Lebens, wird von dem chinesischen Polizeibeamten Charlie Chan zu seinem Helfer gemacht und erliegt der Anziehungskraft Hawais sowie der Tochter des Hauptverdächtigen.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg oder hören bei LibriVox.

Anthony Berkeley: Der Fall mit den Pralinen (1929)

Anthony Berkeley war Gründer einer Vereinigung von Krimiautoren, des Detection Club, zu dem auch Agatha Christie gehörte4sowie H. C. Bailey. Sein Krimi „Vor der Tat“ wurde von Alfred Hitchcock verfilmt. Im Gegensatz zu anderen in diesem Artikel Vorgestellten hat er das Glück, dass seine Krimis zumindest auf Englisch in den letzten Jahren noch einmal aufgelegt wurden.

Eine Schachtel PralinenSechs Amateurdetektive, die einem Krimiclub angehören, ermitteln zu einer Frau, die an vergifteten Pralinen starb. Jeder von ihnen deckt ein anderes Geheimnis der in den Fall verwickelten Personen auf und kommt mit seinen Schlussfolgerungen zu einer logischen, absolut überzeugenden Lösung – fünf davon sind aber falsch. Jeder Detektiv wird, nachdem er seine Lösung präsentiert hat, von den anderen auseinandergenommen und ihm bzw. ihr die Lücken in der Beweisführung vorgehalten. Obwohl sechsmal zum selben Verbrechen ermittelt wird, ist der Krimi nicht im Mindesten langweilig, weil jeder einen anderen Weg einschlägt und andere Spuren verfolgt.

Kostenlos lesen auf Englisch bei Project Gutenberg.

Gunnar Gunnarson: Schwarze Vögel (1929)

Obwohl der Name heute kaum noch jemandem etwas sagt, war der isländische Autor Gunnar Gunnarson achtmal für den Literaturnobelpreis nominiert und gilt als einer der einflussreichsten isländischen Autoren.

In „Schwarze Vögel“ greift er einen wahren Fall auf, der sich 1802 in Island zugetragen hat. Schon lange sind Gerüchte im Umlauf, dass Bjarni Bjarnason und Steinunn Sveinsdottir eine Affäre hätten. Das führt schnell zu Verdächtigungen, als ihre Ehepartner kurz hintereinander sterben. Der Ich-Erzähler des Krimis ist der Kaplan der Gemeinde, der beide Familien gut kennt. Ihm geht es nicht so sehr um die Aufklärung des Todes, sondern um das Seelenheil der ihm Anvertrauten. Er versucht der aufgeladenen Atmosphäre, die durch die Verdächtigungen entsteht, entgegenzutreten, und gleichzeitig bei der Wahrheitsfindung behilflich zu sein. Selten ist es einem Autor gelungen, mich derart in eine düstere Atmosphäre hineinzuziehen, wie sie einem aus jeder Seite dieses Romans entgegenschlägt.

Waren euch einige Namen auf meiner Liste bekannt? Kennt ihr selber alte Krimis, die lesenswert sind? Schreibt es mir in die Kommentare.

Die Aussortierten

Ihr habt einige meiner Vorschläge ausprobiert und sie sagen euch nicht zu? Vielleicht sind dann die Krimis, die ich aussortiert habe, genau die, die euch gefallen:

  • Auguste Groner: Der rote Merkur
  • Emma Orczy: Lady Molly of Scotland Yard
  • Melville Davisson Post: The Sleuth of St. James Street
  • Israel Zangwill: The Big Bow Mystery
  • Arthur B. Reeve: The Silent Bullet
  • Sven Elvestad: Der eiserne Wagen
  • Ernest William Hornung: The Amateur Cracksman
  • Anni Hruschka: Das silberne Auto
  • Rahel Sanzara: Das verlorene Kind
  • Balduin Groller: Detektiv Dagoberts Taten und Abenteuer
  • Anna Greene: The Leavenworth Case
  • Emile Gaboriau: Aktenfaszikel 113
  • E. C. Bentley: Trent’s Last Case
  • Rodriguez Ottolengui: A Modern Wizard
  • Metta Victor: The Dead Letter
  • Marie Adelaide Belloc Lowndes: The Lodger

Von welchen Klassikern ihr die Finger lassen könnt und welche sich auch heute noch lohnen, erfahrt ihr hier:

George Takei: They Called Us Enemy

Cover der Graphic Novel "They calles us enemy" von George Takei: Eine Schlange von Menschen steht vor einem Lager, ein Soldat bewacht sie. Der fünfjährige George dreht sich zum Betrachter um.

Den Namen George Takei verbinden die meisten wahrscheinlich mit seiner Rolle als Hikaru Sulu in Raumschiff Enterprise. Eine Serie, die in einer Zukunft spielt, in der die Menschheit ihre Konflikte überwunden hat. Auf einem Raumschiff, das in friedlicher Mission unterwegs ist, unbekannte Planeten zu erforschen und neue Kulturen kennenzulernen. Es war eine ganz andere Welt als die, in der George Takei aufwuchs. Eine, von der er in seiner Graphic Novel „They Called Us Enemy. Eine Kindheit im Internierungslager“ erzählt. Sie ist 2019 erschienen, auf Deutsch 2020 bei Cross Cult.

George Takei galt einmal als Feind

Cover der Graphic Novel "They calles us enemy" von George Takei: Eine Schlange von Menschen steht vor einem Lager, ein Soldat bewacht sie. Der fünfjährige George dreht sich zum Betrachter um.Eines Nachts stehen Soldaten vor dem Haus der Takeis in Los Angeles. Zehn Minuten haben der fünfjährige George, seine Eltern und seine beiden Geschwister, um sich anzuziehen und zu packen. Dann werden sie abgeführt und in ein Lager gebracht. Alles, was ihnen gehörte, ist verloren. Ihr Verbrechen? Sie sind japanischer Abstammung. Vier Jahre verbringt George Takei mit seiner Familie in Lagern – wie 120.000 andere Menschen japanischer Abstammung auch. Ohne Anklage, ohne Prozess, ohne Verurteilung.

Denn nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 werden alle in den USA lebenden Japaner sowie japanischstämmigen Amerikaner als „Enemy Alien“ betrachtet und sind zunehmend Diskriminierung, Rassismus und Übergriffen ausgesetzt. Die von Präsident Roosevelt erlassene Executive Order 9066 stellt alle „Japaner“ unter Generalverdacht und ermöglicht ihre Inhaftierung allein aufgrund ihrer Herkunft.

Diese Zeit schildert er mit den Augen eines Jungen, der zu jung ist, um zu verstehen, was passiert; der seinem Vater glaubt, wenn dieser sagt, sie führen in Urlaub. Der es für normal hält, hinter Stacheldraht zu leben, von Soldaten bewacht. Der Gewalt gegen Insassen, Aufstände und Misstrauen untereinander, aber auch gegenseitige Unterstützung miterlebt.

George Takei hat mit „They Called Us Enemy“ keine Anklage geschrieben, sondern einen Apell, sich für Demokratie, Menschenrechte und Versöhnung einzusetzen. Denn was vor achtzig Jahren geschehen ist, geschieht auch heute noch. Und damals wie heute sind wir gefordert, dagegen aufzustehen.

Falls ihr mehr über George Takei und seinen Einsatz für die amerikanisch-japanische Verständigung und die LBTQ-Bewegung wissen wollt, besucht seine Website.

Story-Structure-Modelle: Freund oder Feind der Kreativität?

Ein aus mehreren würfelförmigen Kästen bestehendes Luxushaus mit Swimmingpool.

Schränken Story-Structure-Modelle nicht die Kreativität ein, weil sie einem vorschreiben, wie eine Geschichte erzählt werden muss? Story-Structure-Modelle können Kreativität behindern. Story-Structure-Modelle unterstützen Kreativität. Das hängt davon ab, wie man sie anwendet. Erstrebenswert ist zweiteres.

Ihr wisst nicht genau, was Story Structure ist? Dann lest am besten erst diesen Artikel:

Wir brauchen Vorlagen

Woran erkennen wir ein Auto, einen Pullover, ein Haus und wie halten wir sie mit einem Fahrrad, einem T-Shirt oder einem Zelt auseinander? Genau, wir haben eine Vorstellung, welche Merkmale diese Dinge besitzen müssen, um als Auto, Pullover oder Haus zu gelten. Ein Auto hat vier Räder und ein Fahrrad zwei, ein Pulli wärmt mehr als ein T-Shirt. Ein Haus hat Wände, ein Dach, Türen, Fenster und ist aus stabilem Material. Trotzdem können Häuser sehr unterschiedlich sein.

Drei sehr unterschiedliche Häuser: Zwei Häuser mit den für Paris typischen Fassaden, ein Luxushaus aus Quadern und ein Haus auf dem Land mit mehreren An- und Vorbauten.

Damit das, was man herstellt, ein Auto, ein Pullover oder ein Haus wird, stützen wir uns auf Vorlagen. Wir sagen nicht: Ein Auto oder ein Haus kriege ich auch hin, ohne zu wissen, was es dafür braucht. Ich will stattdessen meine Kreativität fließen lassen. Dann hat man am Ende ein Auto mit dem Motor auf dem Fahrersitz oder ein Haus ohne Badezimmer.

Mit Story-Structure-Modellen ist es genauso. Obwohl sie gewisse Vorgaben machen, damit das, was am Ende rauskommt, eine Geschichte ist, bedeutet das nicht, dass diese dadurch gleich sind. Modelle sind Vorlagen, die man an die Bedürfnisse der Geschichte anpasst. Die Gefahr der Vorhersehbarkeit besteht dabei, aber zum einen gibt es Wege, das zu verhindern, und zum anderen ist Vorhersehbarkeit nicht immer ein Nachteil.

Vorhersehbarkeit durch Story-Structure-Modelle vermeiden

Besonders in Hollywood-Komödien springt mir oft entgegen, dass sie nach dem Beat Sheet geplottet wurden. Für mich ist offensichtlich, wann was passieren wird, weil der Ablauf überdeutlich dargestellt wird. Die Wendungen überraschen mich nicht, dabei sollten sie es. Zum Glück gibt es Methoden, Vorhersehbarkeit zu vermeiden. 

Eine davon ist, die Ähnlichkeiten im Aufbau zu verschleiern, indem man dieselbe Station der Story Structure in verschiedenen Geschichten inhaltlich anders füllt. Als die auf der Isla Nublar festsitzenden Besucher den Stromgenerator neu starten, biegt Jurassic Park auf die Zielgerade ein. Als Baby Johnny ein Alibi für den Diebstahl gibt, setzt sie den letzten Akt von Dirty Dancing in Gang. Bei beidem handelt es sich um den zweiten Wendepunkt.

Eine andere ist, die Struktur so unterschiedlich zu gestalten wie die Häuser auf den Fotos. Das kann bedeuten: Steht in jeder Geschichte das auslösende Ereignis bei 12 %, der erste Wendepunkt bei 25 %, der Midpoint bei exakt 50%? Oder benutzt man diese Angaben nur als Orientierung? Hält man sich an die typische Reihenfolge der Story-Structure-Schritte? Oder ändert man sie so ab, wie es zur eigenen Handlung passt? Geschieht am auslösenden Ereignis das, was sonst am ersten Wendepunkt kommt?

Am besten aber schlägt man sein Publikum derart in den Bann der Geschichte, dass es gar nicht auf die Idee kommt, über die Struktur nachzudenken.1Nichts leichter als das, nicht wahr? 😉

Es muss außerdem nicht schlecht sein, wenn Erzählungen gleich aufgebaut sind. Denkt an eine Krimiserie wie Columbo. Wir wissen, wie die Handlung ablaufen und wie Columbo bei seinen Ermittlungen vorgehen wird. Und in dem Fall lieben wir die Vorhersehbarkeit.2Wenn wir darauf warten, dass Columbo an der Tür stehen bleibt, sich noch einmal umdreht und sagt: „Eine Frage hätte ich noch …“

Kreativ sein mit Story-Structure-Modellen

Wir haben Erwartungen an eine Geschichte, damit wir sie als Geschichte empfinden. Wir haben Erwartungen daran, was wann passieren sollte, selbst wenn uns das nicht bewusst ist. Wir werden ungeduldig, wenn die Hauptperson zu lange ohne Ziel durch die Handlung irrt. Wir sind enttäuscht, wahrscheinlich sogar wütend, wenn der Krimi vor der Klimax, vor der Enthüllung des Mörders endet.

Story-Structure-Modelle helfen, im Blick zu behalten, wann man Erwartungen (nicht) erfüllt. Sie helfen, stringent und gut nachvollziehbar zu erzählen, sodass man viele Leser*innen anspricht. Sie helfen, alles, was eine Geschichte benötigt, an den passenden Stellen unterzubringen. Wenn man ein Modell benutzt, hat man ein Gerüst, innerhalb dessen man sich ausprobieren kann.

Ihr wollt eine Geschichte schreiben, die viele erreicht? Ihr schreibt in einem Genre, in dem Abweichungen nicht gern gesehen werden? Oder ein Drehbuch für eine Serienfolge? Dann haltet ihr euch am besten enger3enger, nicht sklavisch! an ein etabliertes Modell wie die Drei-Akt-Struktur, das Beat Sheet oder die Heldenreise. Wenn ihr aber mit der Struktur experimentieren möchtet, bildet das Wissen über die Modelle eine Grundlage, von der aus ihr eigene kreative Ideen für eure Struktur entwickeln könnt. Aber eine Vorlage, ein Grundwissen, was eine Geschichte ausmacht, braucht ihr.

Soll ich plotten oder einfach drauslosschreiben? Das ist eine andere Frage, die viele Autor*innen umtreibt. Falls ihr mehr dazu wissen wollt, folgt dem Link zu meinem Artikel.

 

Warum KI-Übersetzungen menschliche (noch) nicht ersetzen können

Bild, auf dem verschiedene Übersetzungen von Hallo stehen

Wenn mein Mann und ich im Urlaub essen gehen, entscheiden wir uns manchmal spontan beim Umherschlendern für ein Restaurant. Manchmal recherchiere ich im Vorhinein. Da ich kein Spanisch kann, sah ich mir in Málaga die KI-Übersetzungen auf Google Maps an. Es dauerte nicht lange, bis mich Zweifel an der Genauigkeit der Übersetzungen beschlichen. Darum will ich jetzt erklären, warum ich nicht denke, dass KI-Übersetzungen so bald menschliche ersetzen werden.

Die Probleme mit KI-Übersetzungen

Was ist mir bei den Übersetzungen der Restaurantrezensionen aufgefallen? Das will ich an Bewertungen für ein Restaurant in Málaga und eins in London zeigen. Damit wollte ich testen, ob die KI mit Spanisch-Deutsch eventuell mehr Probleme hat als mit Englisch-Deutsch. Meine Annahme, dass Übersetzungen aus dem Englischen besser sind, hat sich nicht bestätigt.

Spanisch-Deutsch

Die erste aus Málaga zitiere ich komplett:

Ich war heute Nachmittag dort und als ich auf die Toilette gehen wollte, warf mir ein Mädchen, das wischte, ein sehr schlechtes Gesicht zu, als ich sie aufforderte, hereinzukommen. Ich fühlte mich so schlecht, dass ich ihm sagte, dass es nicht mehr passieren würde. Ihr Partner kam, um sich zu entschuldigen, aber sie rührte sich nicht einmal. Offenbar ist dies nicht das erste Mal, dass er Menschen so behandelt. Ich hoffe, dass sie etwas dagegen unternehmen, denn der Ekel in meinem Gesicht ist nicht normal. Der Mangel an Bildung, den er gezeigt hat, trübt die gute Arbeit, die seine Kollegen leisten.1Spanisches Original: He estado esta tarde y al querer pasar al baño, una chica que estaba pasando la mopa me puso muy mala cara cuando le pedi pasar. Me ha sentado tan mal que le he dicho que ya no iba a pasar. Vino a disculparse su compañero pero ella ni se movió. Por lo visto no es la primera vez que trata así a la gente. Espero que hagan algo al respecto porque no es normal la cara de asco que me ha puesto. La falta de educación que ha demostrado empaña el buen trabajo que hacen sus compañeros.

Wir sind uns, glaube ich, auch ohne Spanisch zu verstehen, einig, dass das keine korrekte Wiedergabe sein kann.

Bild, auf dem verschiedene Übersetzungen von Hallo stehenDas schlechte Gesicht, mala cara im Original, hätten menschliche Übersetzer*innen wahrscheinlich mit einen bösen Blick zuwerfen oder ein finsteres Gesicht machen übersetzt. Mit dem Partner muss ein Kollege gemeint sein. Die KI-Übersetzung entscheidet sich bei La falta de educación für den Mangel an Bildung. Educación kann zwar mit Bildung übersetzt werden, hier bedeutet es Erziehung oder Benehmen. Außerdem wählt die KI für das Mädchen die Pronomen er, ihm und einmal sie. Vielleicht interpretiert sie an der einen Stelle aber auch, der Kollege habe sich danebenbenommen, nicht das Mädchen.

Insgesamt ergibt die Rezension keinen Sinn. Oder versteht ihr, was dort eigentlich passiert ist? Ich nicht. Sollte eine spanischsprechende Person diesen Artikel lesen, wäre ich für eine nachvollziehbare Übersetzung in den Kommentaren sehr dankbar.2Genauso falls die Rezensentin sich tatsächlich unverständlich ausgedrückt hat.

Englisch-Deutsch

Die KI entscheidet sich auch im Englischen häufiger für den falschen Begriff wie hier:

Ich hatte ein Problem damit, dass der Manager sehr knapp war, als ich nach einem Detail auf der Rechnung fragte.3I had an issue with the manager being very curt when I asked about a detail on the bill.

Bei einer menschengemachten Übersetzung wäre aus dem sehr knapp ein kurzangebunden geworden, was in dem Zusammenhang curt am ehesten entspräche. Ebenfalls ist hier der englische manager nicht identisch mit dem deutschen Manager – gemeint hat der Rezensent wahrscheinlich den Geschäftsführer.

Jeder Kurs ist sorgfältig aufgebaut und präsentiert.4Every course is carefully constructed and presented.

Das ist wieder ein Beispiel dafür, dass die KI bei verschiedenen möglichen Übersetzungen nicht weiß, welche im Kontext die richtige ist. Ein course kann ein Kurs sein, aber in Bezug auf Essen ist damit ein Gang gemeint.

Es dauerte auch ewig, den Ort zu verlassen.5Getting out the place also took ages.

Im Englischen kann man restaurant mit place ersetzen, aber im Deutschen ist Ort als Synonym für Restaurant ungebräuchlich. Man versteht es, aber es klingt falsch. Die KI weiß das nicht und übersetzt wörtlich.

Ich habe mich diese Woche für das Chippie-Pop-up [Anm. ein Menü in dem Restaurant] entschieden, das sich kaum von der 5-Sterne-Bewertung von vor drei Jahren hätte unterscheiden können.6I went for the Chippie pop up this week, which couldn’t have been more different to the 5 star review from 3 years ago.

Die KI hat anscheinend Probleme mit der Bedeutung der Aussage. Der Rezensent stellt in Wahrheit fest, dass das heutige Chippie-Pop-up-Menü sich sehr stark von dem von vor drei Jahren unterscheidet.

Es wurde immer schlimmer, wenn die Rinderkeulenfüllung zu sehr mit Salz gewürzt war. 7It got progressively worse with the beef shin filling being over seasoned with salt.

Wonach richtet sich die KI, wenn sie eine Konjunktion auswählt? Wie kommt sie darauf, dass wenn passt? Ich wüsste es gern. Mit der Rinderkeulenfüllung, die total versalzen war, wurde es immer schlimmer. So könnte man das übersetzen.

Wir mussten den Kohl mit den Resten zurückschicken, weil der Koch wirklich viel Salz in den Teig der Reste gestreut hatte.8We had to send back the coley with scraps because the chef had really dropped the salt in the scraps batter.

Coley bedeutet Seelachs, Cole bedeutet Kohl. Wie kann der KI so ein Fehler passieren? Nach einiger Recherche habe ich auch herausgefunden, was mit scraps bzw. scraps batter gemeint ist. Es handelt sich nicht um Reste oder einen Teig der Reste, sondern um frittierten Teig, eine Beilage, die in England offenbar zu Pommes serviert wird. Der Seelachs wurde mit Beilage zurückgeschickt, weil die Beilage versalzen war. Und während wir in Deutschland zwar Salz streuen, wenn wir Gehwege schneefrei bekommen wollen, streuen wir Salz nicht ins Essen, sondern salzen es.

Es schmeckte, als käme es gerade aus dem Kühlschrank und als Essensreste.9It tasted like it had just come from the fridge and eating leftovers.

Dem englischen like entsprechen im Deutschen als und wie. Während das erste als stimmt, ist das zweite falsch. Aber auch: Es schmeckte, als käme es aus dem Kühlschrank und wie Essensreste, klingt nicht besonders elegant. Menschliche Übersetzende hätten vermutlich den ganzen Satz freier formuliert.

Das Schokoladen-Karamell-Dessert war insgesamt viel zu süß, um die anderen Aromen als den Zucker zu überdecken. Den oberen Teil des Schokoladendesserts zu essen war herrlich, aber die untere Karamellkeksschicht muss man aus den Zähnen kramen.10The chocolate caramel dessert overall was way to sweet that it masked the flavours other than sugar. Eating the top part of the chocolate dessert was lovely, but the bottom caramel biscuit layer is digging out your teeth.

Mit um entscheidet sich die KI wieder für die falsche Konjunktion und verändert den Sinn des Satzes. Das Dessert war zu süß, sodass der Zucker die anderen Aromen überdeckt hat. Im Original heißt es, dass die Karamellkeksschicht einem die Zähne zog, ich nehme an, weil sie so klebrig war. Mit aus den Zähnen kramen benutzt die Ki dann noch einen Ausdruck, den es im Deutschen nicht gibt.

Es gab keine Entschuldigung dafür, dass wir von einem jungen Kellner warten ließen.11There was no apology for keeping us waiting from a young waiter.

Richtig: Es gab von dem jungen Kellner keine Entschuldigung dafür, dass er uns warten ließ.

Ich war die ganze Nacht über durstig und trank Wasser. Es war schlimmer als eine Nacht mit Schüssen.12All throughout the night I was thirsty and drinking water. It was worse than a night out with shots.

Die wörtliche Übersetzung von shots finde ich besonders amüsant. Nein, liebe KI, es wurde nicht die ganze Nacht geschossen, der Rezensent war durstiger als nach einer Nacht, in der er zu viele Kurze gekippt hat.

KI-Übersetzungen von Websites

Im Internet sehe ich immer mehr automatisch übersetzte Artikel. Für mich ist das ein Zeichen von Unprofessionalität, wenn es einem egal ist, ob der Text in der Übersetzung natürlich klingt, lesbar und verständlich ist. Wenn man nicht bereit ist, Geld für eine gute, d. h. menschengemachte Übersetzung auszugeben. Oder zumindest eine Korrektur von einem Mitarbeitenden durchführen zu lassen.

Bei englischen Texten ziehe ich es vor, die Seite im Original lesen. Wenn jemand eine Sprache nicht (gut genug) beherrscht, kann man sich den Artikel immer noch im Browser übersetzen lassen. Aber ich hätte schon gern die Wahl, ob ich den Text im Original lese oder eine (schlechte) Übersetzung. Vor allem wenn für mich nicht erkennbar ist, wo ich den Originaltext finde.

Eine gruselige Vorstellung ist für mich auch, dass Menschen, die viele solcher KI-Übersetzungen lesen, irgendwann anfangen könnten, das für normales, richtiges Deutsch zu halten.

KI-Übersetzungen als Hilfe

Menschen machen sich Gedanken, ob der übersetzte Satz Sinn ergibt, die KI nicht. Menschen wägen ab, wie nah man wörtlich am Original bleibt und wann man davon abweichen muss, weil es eine Redewendung oder Metapher etc. in der Zielsprache nicht gibt. Die KI nicht. Menschen übernehmen nicht die Satzstruktur der Ursprungssprache, sondern schreiben so um, dass es in der Übersetzung natürlich klingt. Die KI nicht. Wird die KI das alles in den nächsten Jahren lernen? Vielleicht.

Ich bin sehr froh, dass es KI-Übersetzungen gibt, und benutze sie oft. Um Rezensionen von Restaurants oder Hotels zu lesen. Weil mich ein Wikipedia-Artikel interessiert, den es nicht in Deutsch oder Englisch gibt. Wenn ich nicht sicher bin, ob ich die in Französisch gestellte Aufgabe in meinem Französisch-Onlinekurs richtig verstanden habe. Und in vielen anderen Fällen.

Daher ist meine Empfehlung: Nutzt KI-Übersetzungen im privaten Umfeld. Braucht ihr aber eine professionelle Übersetzung, wendet euch an Profis, z. B. die vom Verband der Übersetzer (VdÜ).

Auch meine Kollegin Anya Lothrop hat in zwei Artikeln aufgeschlüsselt, woran es bei KI-Übersetzungen noch hapert.

Dafür, dass ich eigentlich keine Lust habe, mich mit KI zu beschäftigen, ist es erstaunlich, wie oft ich darüber schreibe.

Wer geht im Urlaub in Buchhandlungen in Málaga?

Die Buchhandlung Mapas y Compania ist mit vielen Globen und von der Decke hängenden Heißluftballons dekoriert

Ich gehe gern in Buchhandlungen. Auch im Urlaub in Málaga. Spätestens seitdem ich während meiner Workation in Montpellier vor zwei Jahren nach fremdsprachiger Literatur geforscht hatte, hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Was wird in anderen Ländern gelesen? Welche Genres sind dort beliebt? In welchen Sprachen werden Bücher angeboten? Welche deutschen Autor*innen werden übersetzt? Hier kommen die Impressionen, die ich in einer Woche Málaga gesammelt habe.

Was für Buchhandlungen gibt es in Málaga?

Wenig überraschend für eine Stadt mit fast 600.000 Einwohnern hat Málaga recht viele Buchhandlungen. Kleine und große, spezialisierte und breit aufgestellte. Die schönste davon war die Librería Mapas y Compañía1Calle Compañía, 33. Die kleine Buchhandlung hat sich auf Geografie, Reisen, Flora und Fauna spezialisiert, was man an der liebevollen Dekorierung gut sieht. Der Besuch lohnt sich allein wegen der Atmosphäre, selbst wenn man wie ich nur vier Wörter Spanisch beherrscht2holla, gracias, buenos días und bei den Büchern eher anhand der Cover erahnt, worum es geht. Dabei ist Mapas y Compañía keine Sachbuchhandlung. Auch Abenteuerliteratur wie die Reihe um Tintin – im Deutschen als Tim und Struppi bekannt – und Fantasy wie die Erdsee-Reihe von Ursula K. LeGuin ist vertreten. Insgesamt scheint Tintin in Spanien beliebt zu sein. Die Comics und Figuren habe ich häufiger gesehen.
Schaufenster und Eingang der Buchhandlung Mapas y Compañía in Málaga Die Buchhandlung Mapas y Compania ist mit vielen Globen und von der Decke hängenden Heißluftballons dekoriert
Bei der Librería Casa del Libro3Nueva, 5 dagegen handelt es sich um eine Kette. Entsprechend breit gefächert ist das Sortiment auf mehreren Etagen. Die Genres entsprechen dem, was ich auch aus Deutschland kenne. Begeistert hat mich die große Auswahl an Fantasy und Science-Fiction, insbesondere die vielen Bücher von Brandon Sanderson. Hier bin ich auch Angela Merkel begegnet.
Schaufenster und Eingang der Buchhandlung Casa del Libro in Málaga. Cover der spanischen Übersetzung von Angela Merkels Buch "Freiheit" in der Buchhandlung Casa del Libro.
Die Librerías Proteo y Prometeo4Calle Puerta Buenaventura, 3 ist relativ schlicht eingerichtet, geht über mehrere Stockwerke und hat eine breite Auswahl. Was mich überrascht hat, war die Abteilung LGTBQ+ im Erdgeschoss. Denn ich hatte Spanien als konservativ katholisches Land in Erinnerung. Dass ich in den ersten Tagen in der Innenstadt zwei Geschäfte gesehen hatte, die Heiligenfiguren verkaufen, hat diesen Eindruck erst mal nicht entkräftet. Desto mehr habe ich mich über die beiden Regale mit LGTBQ+-Büchern gefreut.
Schaufenster und Eingang der Buchhandlung Proteo Prometeo in Málaga Zwei Regale mit LGTBQ+-Literatur in der Buchhandlung Proteo y Prometeo
Buchantiquariate werden in Spanien offensichtlich auch Librerías genannt. Das fand ich heraus, als ich die Librería Re-Read5Calle Victoria, 27 betrat. Direkt am Eingang stehen rechts Regale mit französischen und deutschen Büchern6wobei sich zwischen den deutschen auch niederländische versteckten und links mit englischen. Solltet ihr also euren Urlaub in Málaga verbringen und günstigen Nachschub an Reiselektüre brauchen, ist Re-Read eure Adresse. Ihr dürft nur nicht die neuesten Bücher erwarten. In deutschen Antiquariaten bin ich es außerdem gewohnt, ständig über Bücherstapel zu stolpern. Bei Re-Read dagegen war alles ordentlich verräumt.
Schaufenster und Eingang der Second-Hand-Buchhandlung Re-Read in Málaga Die Regale mit französischen und deutschen Büchern in der Second-Hand-Buchhandlung Re-Read in Málaga

Allgemeine Eindrücke in der Kürze der Zeit

Ganz so viel Zeit zum Stöbern hatte ich nicht. Ich hatte nämlich einen Ehemann dabei, der in seinem Urlaub lieber etwas anderes machen wollte, als von einer Buchhandlung in die nächste geschleppt zu werden und mir dort zuzusehen, wie ich Regale fotografiere und mir Notizen zu Genres, Autor*innen und Werken mache. Was konnte ich in der kurzen Zeit also herausfinden?

Ein eigenes Regal für fremdsprachige Literatur scheint in Buchhandlungen in Málaga7oder in Spanien? nicht unbedingt typisch zu sein. Sowohl bei Proteo y Prometeo als auch bei Mapas y Compañía standen die fremdsprachigen Werke zwischen den spanischen. Entdeckt habe ich Englisch, Französisch und Deutsch. Die ersten beiden Sprachen hatte ich erwartet, Deutsch, auch wenn es weniger oft vorkam, Cover von "Malalga yel Mar" (Malaga und das Meer): Ein antikes Segelboot hält auf Land zu.allerdings nicht.

Ansonsten sind mir viele Autor*innen begegnet, die ich aus deutschen Buchhandlungen kenne: Dan Brown, Jane Austen, Ernest Hemmingway, J. R. R. Tolkien, Hannah Grace, Nora Roberts, Stefan Zweig, Stephen King, Agatha Christie, Haruki Murakami, Harper Lee … Von den beiden spanischen Schriftstellerinnen, die mir mehrmals auffielen, war mir Julia Navarro ein Begriff, Rosa Montero noch nicht.

Eine Ecke für regionale Literatur, insbesondere über Málaga, gab es in jeder Buchhandlung. Und ein Buch, „Málaga yel Mar“, war überall gut sichtbar ausgelegt. Das Dritte Reich und der Spanische Krieg waren zwei weitere Themen, die meist prominent platziert waren. Dazu passt, dass Hemingways Roman „Wem die Stunde schlägt“ über den Spanischen Bürgerkrieg angeboten wird.

Mein Eindruck ist, dass das Sortiment sich nicht so sehr von unserem unterscheidet. Statt deutscher Autor*innen finden sich logischerweise spanische. Aber die Genres und ihre Beliebtheit sind ähnlich. Eine spanische Buchhandelskette ist nicht groß anders als eine deutsche – funktional und mit massenkompatiblem Sortiment. Und die inhabergeführten können wie bei uns sehr gemütlich sein und zu stundenlangem Stöbern einladen, so wie Mapas y Compania.

Und ich tue das, weil …

Meinen Urlaub könnte ich natürlich anders verbringen als in Buchhandlungen. Mein Mann wäre mir sicher dankbar. Warum mache ich das also – außer um einen Blogbeitrag daraus zu erstellen? Weil ich den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus unheimlich spannend finde. Ob es sich um chinesische Fantasy oder Afrofuturismus handelt, Sachbücher über Japan oder das Angebot in spanischen Antiquariaten, ich möchte wissen, wofür man sich woanders interessiert und welche kulturellen Unterschiede es gibt.8Ich hätte auch gern die Nachrichten in Spanien verfolgt. Leider scheitert das an meinen Sprachkenntnissen. Dafür hilft es z. B., sich anzuschauen, was in Buchhandlungen im Ausland angeboten wird.

Worauf achtet ihr besonders im Urlaub? Was in den Schaufenstern der Buchhandlungen liegt? Wo man die besten Restaurants findet? Welche Kirchen man besichtigt haben muss?

Passende Begleitsätze zur wörtlichen Rede benutzen

Eine schwarz-weiße Katze liegt auf einer Mauer und blickt den Betrachter an.

Passende Begleitätze zur wörtlichen Rede können eine große Wirkung erzielen. Entscheidend dafür ist, dass sie originell und aussagekräftig sind und nicht zu sehr von der wörtlichen Rede ablenken. Besser noch: Wenn sie mit der Rede verbunden sind, sodass beides zu einem organischen Ganzen wird.

Ihr habt die ersten Teile der Reihe noch nicht gelesen? Ihr findet sie hier:

Schlichte Begleitsätze

Aber muss es unbedingt kreativ sein? Nein, man kann auch einfach schlichte Begleitsätze benutzen. Mit ihnen macht man selten etwas falsch. Sie helfen dabei zu erkennen, wer gerade redet, halten sich aber sonst im Hintergrund. Wenn es einem schwerfällt, spannende Begleitsätze zu entwickeln, oder man einen knappen Stil bevorzugt, ist es die bessere Wahl, bei sagte er, fragte ich zu bleiben.

Begleitsätze, die etwas über die Charaktere verraten

Was aber ist, wenn ihr in den Begleitsätzen mehr Informationen unterbringen wollt? Das sind einige Fragen, die ihr euch in dem Fall stellen könnt: Wie sehen eure Protagonisten aus? Was sind typische Aktionen für sie? Wie ist ihre Stimmung während des Dialogs?

Man kann dazu eigene Absätze schreiben, in denen ihr sie mit Größe, Alter, Augenfarbe, ihrem Schulabschluss und ihrer Einstellung zur Deutschen Bahn etc. vorstellt. Persönlich mag ich diese Art der Einführung von Protagonisten nicht so gern. Selbst dann nicht, wenn all das für die Handlung wichtig ist. Denn für den Einschub wird die Geschichte angehalten und Schwung herausgenommen. Eine andere Methode ist es, diese Informationen einzuflechten. Das geht so:

„Was ist das denn für ein Unsinn?“ Er stand auf, wobei er mit dem Bauch gegen die Tischplatte stieß, sodass die als Truppen dienenden Steine wackelten und hüpften. „Was sollte Vigri in Naarved machen, wenn es doch seine Aufgabe ist, Elvritshalla zu schützen?“

Tad Williams: Das Herz der verlorenen Dinge

Ihr haltet Herzog Isgrimnur, den „Er“ aus dem Begleitsatz, jetzt wohl eher nicht für den sportlichen Typen, oder? Es ist auch subtiler als: Herzog Isgrimnur war ein Mann mit einem mächtigen Bauch.

Was für einen Eindruck gewinnt ihr von Adéle?

Charaktere beschreiben durch Handlungen: Eine junge Frau schminkt sich die Lippen„Und Sie?“

Adéle schminkte sich gerade die Lippen.

„Ich …“ Ein exakt gezogener Bogen mit dem sattroten Lippenstift. „Ich …“ Ein Blick in den Spiegel. „… habe überhaupt nichts zu sagen. Alle Männer sind gemein.“

Georges Simenon: Maigret am Treffen der Neufundlandfahrer

Vom Lippenstift leiten wir ab, dass sie auch sonst Wert auf ihr Äußeres legt. Wir ergänzen Kajal, Rouge und eine modische Frisur.1Oder Wimperntusche, nachgezogene Augenbrauen und Stöckelschuhe. Durch ein Detail gelingt es Simenon, ein ganzes Bild der Person vor meinen Augen entstehen zu lassen.

Statt die Fragen von Kommissar Maigret zu beantworten, zieht Adéle es vor, ihren Lippenstift aufzufrischen. Das unterstreicht ihre mündlich geäußerte Ablehnung, mit ihm zu kooperieren. Ist das nicht viel aussagekräftiger, als wenn sie die Lippen zusammengepresst oder die Arme verschränkt hätte?

Voraussetzung für einen gelungenen Begleitsatz, der mir etwas über die Figuren verrät, ist, dass ich meine Charaktere kenne. Ich muss wissen, wie sie aussehen, handeln, sich bewegen, über sich selbst denken und auf andere wirken. Dann kann ich Sätze schreiben, die sie lebendig werden lassen.

Begleitsätze, die die Umgebung zeigen

Damit der Begleitsatz im Hintergrund bleibt, kann in ihm nicht zu viel von der Umgebung erwähnt werden. Es reicht für eine knarrende Holztreppe, die Sonne, die einem in die Augen scheint, den Duft von frischgebackenen Waffeln oder …

Eine schwarz-weiße Katze liegt auf einer Mauer und blickt den Betrachter an.Es gibt keine Teufel!“, schrie der Dichter und riss den Kater endgültig aus dem Schlaf. „Es gibt keine! Teufel existieren nicht, zum Teufel!“

Andrzej Sapkowski: Der Rand der Welt, in: Der letzte Wunsch

einen armen Kater, der nicht in Ruhe schlafen kann. Der Begleitsatz teilt uns nicht viel über den Schauplatz mit. Auch die Handlung treibt er nicht voran. Aber er macht die Szene anschaulich.

“Das ist das, was uns die Gemüseverschwörer weismachen wollen”, antwortete Uwe und stellte die leere Flasche auf dem breiten Handlauf der Reling ab.

Alexander Graff: Die Tintenfischfalle

Diese alltägliche Handlung sticht heraus, weil es eine ist, die selten gezeigt wird. Das Geheimnis von guten Begleitsätzen2und insgesamt gutem Schreiben ist nämlich, sich eine Szene genau vorzustellen und individuelle Details auszuwählen. In „Die Tintenfischfalle“ wird zusätzlich etwas wieder aufgegriffen, nämlich das Bier, das die beiden Männer an Bord des Schiffs gerade trinken. Zu Anfang des Gesprächs bringt Uwe die Bierflaschen mit, während des Gesprächs trinken sie daraus. Die Szene wird plastischer, indem sie Gegenstände einbindet, die bereits genannt wurden, und die Handlung fortführt – am Ende sind die Flaschen leer. Dadurch entsteht ein Gefühl von Kontinuität und Glaubwürdigkeit.

Begleitsätze, die Spannung aufbauen

Diese bieten sich besonders bei Konflikten und Androhung von Gewalt an.

„Ich sage es jetzt zum allerletzten Mal, Locke.“ Jean biss auf die Zähne und richtete den Bolzen mit ruhiger Hand genau auf die Stelle zwischen Lockes Augen. „Nimm den Finger vom Abzug und gib mir deine verdammte Waffe. Sofort.

Scott Lynch: Sturm über roten Wassern

Durch den Begleitsatz erfahren wir, dass Jean keine leere Drohung ausstößt. Er hat die Mittel – eine Armbrust -, um Locke zum Aufgeben zu zwingen. Das erhöht die Spannung.

Aber auch wenn einer der Gesprächspartner etwas zu verheimlichen hat oder sich seltsam verhält, kann dieser Eindruck durch passende Begleitsätze erzeugt oder verstärkt werden, wenn das Gesagte nicht mit der Gestik und Mimik des Sprechenden zusammenpasst.

Begleitsätze, die die wörtlichen Rede mit der Handlung verschränken

„Die Abendpost, Sir“, sagte er und überreichte Ackroyd das Tablett mit den Briefen.

Agatha Christie: Alibi

Ich finde das elegant. Ein unauffälliger Begleitsatz, der die wörtliche Rede aufgreift und ihr hinzufügt, wie Ackroyd die Briefe erhält. Wörtliche Rede und Inquit-Formel fließen ineinander, was einen angenehmen Leserhythmus bewirkt.

Der Begleitsatz im obigen Beispiel könnte auch weggelassen werden. Wir wüssten trotzdem, was passiert. Uns würde nur die zusätzliche Information fehlen, wie die Briefe übergeben werden. Im folgenden Zitat sieht das anders aus:

Tschick klappte die Sonnenbrille hoch, setzte sich auf den Fahrersitz und wühlte mit beiden Händen in den Kabeln rum: „Du musst das hier auf Dauerplus legen, die Fünfzehn auf die Dreißig. Da ist die dicke Klemme für.“

Wolfgang Herrndorf: Tschick

Ohne den passenden Begleitsatz wäre die wörtliche Rede nicht verständlich. Wir wüssten nicht, was man auf die Dauerplus legen soll. Beides zusammen vermittelt uns einen Eindruck, was Tschick tut.

Begleitsätze, die mehrere Funktionen erfüllen

Nun habe ich meine Begleitsätze so schön in Kategorien eingeteilt. Dabei können sie mehrere Funktionen erfüllen. Wir wissen durch den Begleitsatz aus „Das Herz der verlorenen Dinge“ nicht nur, wie Isgrimnur aussieht, sondern auch, dass er vor einem Tisch sitzt, auf dem er die Truppenbewegungen von Freund und Feind nachvollzieht. Tad Williams zeigt uns mit diesem Begleitsatz das Aussehen der Person, einen Teil der Umgebung sowie die Situation, es herrscht Krieg.

Für Adéle gilt dasselbe: Der Begleitsatz verrät nicht nur etwas über ihr Aussehen, sondern auch was sie typischerweise dabeihat (Lippenstift, Spiegel) und ihre Einstellung gegenüber Männern und der Polizei. Der Begleitsatz aus „Tschick“ verbindet nicht nur die Handlung mit der wörtlichen Rede, sondern wir erfahren auch, dass Tschick eine Sonnenbrille trägt.

Es ist ja auch logisch, das ein Begleitsatz nicht auf eine der Funktionen beschränkt ist. Oft lassen sich ganz natürlich mehrere in einem Begleitsatz vereinen. Generell solltet ihr unterschiedliche Arten von Begleitsätzen mischen, damit sie abwechslungsreich bleiben. Wenn immer nur weitere Details der Umgebung enthüllt werden, wirkt das bald eintönig.

Begleitabsätze

Meistens will man, dass der Fokus auf dem liegt, was gesagt wird, weshalb ich empfehle, nur ein, maximal zwei Sätze zwischen der wörtlichen Rede einzufügen. Manchmal jedoch steht dort ein ganzer Absatz oder mehr. Das Tempo des Dialogs sinkt dadurch, aber solche Absätze eignen sich gut, wenn das Gesagte nicht so wichtig ist wie das, was drumherum geschieht, was die Sprechenden denken oder wie sie sich verhalten.

In „Autorität“ von Jeff VanderMeer wird Spannung erzeugt, in dem ein Regierungsbeauftragter sich Methoden überlegt, wie er aus der Verhörten die Wahrheit herausbekommt, versucht, sie aus dem Konzept zu bringen und jede ihrer Reaktionen beobachtet und analysiert. Das nonverbale Katz-und-Maus-Spiel nimmt viel mehr Raum ein als die wörtliche Rede.

Auch bei einem Roman, der generell ein ruhigeres Tempo anschlägt, kann man mit Begleitabsätzen arbeiten. Oder bei einem Gespräch zwischen zwei Ehepartnern, die sich entfremdet haben und nicht wissen, worüber sie reden könnten. Oder bei einem Dialog zwischen schläfrigen Personen usw.

Was letztendlich zählt …

ist kreativ zu bleiben beim Schreiben. Nutzt die Charaktere, die Umgebung, die Atmosphäre, um passende Begleitsätze zur wörtlichen Rede zu schreiben. Stellt interessante Details heraus. Vermeidet den Rückgriff auf abgenutzte Begleitsätze. Je ungewöhnlicher oder unverbrauchter das Bild ist, das ihr benutzt, desto eher bleibt es bei Leser*innen hängen. Schon Kleinigkeiten reichen, um Geschichten lebendiger zu machen. Und da ein Dialog durchaus mal länger dauert, bietet er viele Möglichkeiten, nach und nach immer mehr Details zu ergänzen. So entsteht ein immer dichteres, aussagekräftigeres Bild der Szene. Auch hilfreich: Wenn im Satz eine Bewegung vorkommt, z. B. ein aufschreckender Kater. Selbst wenn nicht wirklich etwas passiert, allein die Bewegung erweckt den Illusion, es sei etwas passiert.

Ich möchte auch noch mal auf die Nützlichkeit hinweisen, Beispiele für gutes und schlechtes Schreiben zu sammeln. Die Zitate in den drei Beiträgen stammen größtenteils aus meiner Datei mit Beispielen. Die, die nicht daraus stammen, habe ich nun darin eingetragen.

Jirō Taniguchi: Meister des meditativen Mangas

Cover von Jirō Taniguchis "Der spazierende Mann". Ein Mann sitzt in einer Astgabel und schaut in den Himmel. Im Hintergrund eine japanische Kleinstadt.

Ist euch die Welt manchmal auch zu hektisch, zu laut, zu vereinnahmend? Habt ihr den Eindruck, nicht in euch zu ruhen? Sehnt ihr euch nach einer Oase des Friedens inmitten des Trubels? Dann sind die Mangas von Jirō Taniguchi (1947-2017) genau das Richtige für euch. Denn sie erinnern uns daran, im Hier und Jetzt zu leben.

Meditatives Spazieren mit Jirō Taniguchi

In „Der spazierende Mann“  tut ein Mann genau das, er geht spazieren. Auf seinen Spaziergängen liest er einen herrenlosen Hund auf, wird nassgeregnet, hilft Kindern, ihren Drachen von einem Baum zu holen, erklimmt einen Hügel, schließt Bekanntschaft mit einem Vogelbeobachter … Nichts davon ist spektakulär, denn Taniguchi richtet seinen Blick auf die kleinen Dinge, die uns im Alltag so oft entgehen. Wann seid ihr das letze Mal mit voller Aufmerksamkeit auf eure Umwelt spazieren gegangen? Habt dabei nicht aufs Handy geschaut, einen Podcast gehört oder über Probleme auf Arbeit nachgedacht? Jirō Taniguchis Protagonist aber geht spazieren und sonst nichts. Er nimmt die Welt um sich herum mit allen Sinnen wahr und es fühlt sich an, als würde ich an seiner Seite spazieren.

Cover von Jirō Taniguchis "Der Kartograph". Ein Mann und eine Frau sitzen in einem Boot und schauen nach oben.„Der Kartograph“1Meine Ausgabe heißt „Furari“, weil ich den Band auf Französisch besitze. geht ebenfalls spazieren, aber er hat ein Ziel. Es handelt sich nämlich um Inō Tadataka (1745-1818), der als Erster eine vollständige durch Messungen erfasste Karte Japans erstellt hat. Dafür ging er mit genau gleich langen Schritten bestimmte Strecken ab.

Bei Tanuguchi begleiten wir ihn durch die quirligen Straßen Edos2das heutige Tokio, auf eine Bootsfahrt im Mondschein mit seiner Frau, bei der sie den Sternenhimmel bewundern, beim Besuch eines Tempels, um für das Wohlergehen seiner Familie zu beten, oder wenn er sich vorstellt, wie die Welt wohl aus Sicht einer Libelle aussieht. Auch hier liegt der Fokus auf der genauen Wahrnehmung der Umwelt und den vielen kleinen, alltäglichen Geschichten. Den Nudelverkäufern am Straßenrand, den spielenden Kindern, dem wandernden Haiku-Dichter. Vor allem aber widmet er sich wieder der Schönheit und Faszination der Natur, ob es die Wolken am Himmel, die Kirschblüte oder ein Blick auf die andere Flußseite ist.

All diese Geschichten wären ohne seine Zeichnungen, die diese Szenen ausdrucksstark einfangen, nicht so beeindruckend. Minutenlang kann ich ein einziges Bild von einer von Glühwürmchen erhellten Nacht ansehen.

Aber die meditativen sind doch die besten

Falls ihr nicht so für Meditation zu haben seid, Jirō Taniguchi kann auch Geschichten mit „echter“ Handlung. Für „Die Schrift des Windes“, einem Manga über eine Familie von Samurai, hat er die Zeichnungen beigesteuert, „Ein Zoo im Winter“ ist ein halbautobiografisches Werk über den Weg eines jungen Mannes zum Mangazeichner und in „Vertraute Fremde“ findet sich ein Mann plötzlich als 14-jähriges Ich in seiner Vergangenheit wieder3wobei ich gestehen muss, dass ich letzteres von der Art der Zeichnungen schon wieder sehr meditativ finde.

Für mich aber sind seine meditativen Mangas der wahre Schatz. Wenn ich mich gestresst fühle, überfordert, unausgeglichen, dann schlage ich einen dieser Mangas auf und atme durch. Und alles ist gut.

Der Tee, der dem ersten Newtonschen Gesetz trotzt

Ein Glas Tee mit einem Stängel Minze steht auf einem Untersetzer aus Bast

Jetzt seid ihr bestimmt neugierig, was Newton mit Tee und dem Schreiben zu tun hat. Nun ja, das erste Newtonsche Gesetz beschreibt folgendes Prinzip:

Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.

Anders ausgedrückt: Was sich erst mal in eine Richtung bewegt, bewegt sich weiter in diese Richtung, wenn es nicht durch andere Kräfte gestoppt wird. Oder wenn es sich nicht bewegt, bewegt es sich auch weiterhin nicht, außer es wird durch einen äußeren Umstand dazu gezwungen. Diese Naturgesetze müssen auch beim Schreiben beachtet werden, z. B. im Zusammenhang mit Tee.1Auch wenn wir dafür nicht wissen müssen, wie es heißt.

Was hat Newton mit Belletristik zu tun?

Ein Glas Tee mit einem Stängel Minze steht auf einem Untersetzer aus BastDer Typ ist groß und hat einen Seitenscheitel. In der einen Hand hält er einen Becher Tee […]

Eine halbe Seite später fällt dem Typen auf, dass er gerade die Person getroffen hat, die er gesucht hat. So verleiht er seiner Freude Ausdruck:

„Victoria Spring!“ Er reißt aufgeregt die Arme hoch.

Alice Oseman: Solitaire

Physik ist nicht meine starke Seite, aber eins weiß ich: Wenn ich eine Hand nach oben reiße, in der ich einen Becher mit Tee halte, dann spritzt der Tee an die Decke.2Oder eben: „Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.“ Und es befindet sich Tee in dem Becher, denn er trinkt wenig später daraus.

Vielleicht wollte die Autorin einen interessanten Begleitsatz zur wörtlichen Rede schreiben und nicht etwas wie Er schaut mich aufgeregt an. Sie hatte aber offensichtlich ihr Setup nicht gut im Blick.3Und ihr*e Lektor*in ebenfalls nicht. Die Szene ist dadurch nicht logisch, weil sich der Tee nicht an Newtons erstes Gesetz hält.

Wie vermeidet man solche Fehler, bei denen Naturgesetze gebrochen werden?

Die Naturgesetze beim Schreiben beachten

Einer meiner Autoren versetzt sich in seine Charaktere und nimmt die Umgebung mit allen Sinnen wahr. Er sieht das Meer von seiner Bank auf der Promenade, er spürt das raue Holz unter sich, hört die Rufe der Hafenarbeiter und riecht den Rosenstrauch neben sich. Er lässt die Szene aber auch weiterlaufen. Wenn hinter ihm eine Eisverkäuferin ihren Wagen entlangschiebt, übertönen ihre Rufe die der Hafenarbeiter und ein kühler Luftzug streift seinen Nacken. Auch dass ihr Ruf lauter ist und der Luftzug ihn kühlt, hat mit irgendwelchen Naturgesetzen zu tun.4Wer sich Fleißpunkte verdienen möchte, kann in die Kommentare schreiben, um welche es sich handelt. 😉

Ich denke, dieser Autor hätte im Blick gehabt, was passiert, wenn jemand einen Becher mit Tee nach oben reißt. Denn er hätte vor seinem inneren Auge durchgespielt, wie die Szene realistischerweise abläuft, und den Tee nach oben spritzen sehen.

Selbst bei Fantasy oder Science-Fiction müsst ihr die Naturgesetze beim Schreiben beachten. In den Welten dort mögen andere gelten als bei uns, aber auch dort gibt es welche. Wenn dort Tee im Becher bleibt, wenn man die Arme nach oben reißt, muss er immer im Becher bleiben. Er kann nicht in einer Szene auf einmal an die Decke spritzen.

Habt ihr noch andere Ideen, was man tun kann, um Problemen mit den Naturgesetzen auf die Schliche zu kommen?

PS: In dem Ausschnitt aus Solitaire versteckt sich noch ein weiterer Fehler. Woher weiß Victoria, dass sich in dem Becher Tee befindet, wenn der Typ mehrere Meter von ihr entfernt steht? Zur Perspektive – denn um einen Perspektivfehler handelt es sich hier – hat meine Kollegin Anya Lothrop einen Artikel veröffentlicht. Auch der Fehler wäre entdeckt worden, wenn man durch die Augen der Protagonistin geblickt hätte. So hätte man festgestellt, dass man den Inhalt des Bechers nicht sehen kann.

Welche Begleitsätze zur wörtlichen Rede du vermeiden solltest

Begleitsätze, die ihr vermeiden solltet: Eine junge Frau schläft auf einem Stapel Bücher, vermutlich nachdem sie zu viele davon gelesen hat

Im letzten Beitrag habe ich erklärt, was Begleitsätze zur wörtlichen Rede sind und welche es davon gibt. Heute mache ich mit den Begleitsätzen weiter, die man vermeiden sollte: den Lückenfüllersätzen, Aufmerksamkeit heischenden Begleitsätzen und solchen, die die Aussage der wörtlichen Rede wiederholen. Wie man erkennt, ob es sich um solche Sätze handelt, und warum man sie vermeiden sollte, erfahrt ihr jetzt.

Lückenfüllersätze

Was mir immer wieder auffällt – in Manuskripten, die ich bearbeite, aber auch in veröffentlichten Büchern – sind Begleitsätze wie:

„Lorem ipsum dolor sit amet“, sagte er, ohne sie anzuschauen.

Sie musterte ihn, sah weg, schaute ihn wieder an. „Consectetur adipisici elit.“

Er wich ihrem Blick aus. „Sed eiusmod tempor incidunt ut labore.“

Ihre Blicke trafen sich, bevor er zu Boden schaute.

Beliebt sind auch: nickte sie, er schüttelte den Kopf, sie ballte die Hände zu Fäusten, er zog die Schultern/Augenbrauen hoch, sie lächelte, er verschränkte die Arme.

Diese Sätze können ihre Berechtigung haben. Wenn jemand permanent Blickkontakt ausweicht, vermuten wir, dass er etwas zu verbergen hat. Dann wäre es allerdings kein Lückenfüllersatz mehr, weil es uns etwas über die Person verrät und Spannung aufbaut: Lügt sie? Wenn ja, warum? Oder scheut sie nur Blickkontakt?

Auch gegen Rumo nickte ist erst einmal nichts einzuwenden. Die Begleitsätze sollen schließlich nicht zu sehr vom Dialog ablenken. Was aus meiner Sicht aber gar nicht geht, ist: „Oh ja!“ Rumo nickte. Darauf komme ich gleich zurück.

Begleitsätze, die ihr vermeiden solltet: Eine junge Frau schläft auf einem Stapel Bücher, vermutlich nachdem sie zu viele davon gelesen hatIhr habt vielleicht schon gemerkt, warum Sätze wie er presste die Lippen zusammen, sie lächelte, er runzelte die Stirn langweilig sind. Es handelt sich um Gestik und Mimik, die wir hundertfach verwenden. Daher fallen sie einem direkt ein, wenn man überlegt, was man Charaktere tun lassen könnte. Das wiederum bedeutet, dass sie abgenutzt sind und keine ausdrucksstarken Bilder beim Lesen erzeugen. Sie eignen sich nicht, um das Charakteristische eines Protagonisten zu zeigen, weil wir alle diese Gesten verwenden. Sie eignen sich weder um die Handlung voranzutreiben noch um Spannung aufzubauen.

Das Aneinanderreihen solcher Sätze – statt ein vereinzeltes Auftreten – spricht dafür, dass die Schreibenden wissen, dass man Dialoge auflockert, aber nicht wie man das macht. Deshalb nenne ich diese Sätze Lückenfüller: Man entscheidet sich für das, was einem als Erstes in den Sinn kommt. Aber das Erste ist nicht das Beste, es füllt nur eine Lücke.

Aufmerksamkeit heischende Begleitsätze

Das sind Begleitsätze, die gelehrt daherkommen:

„Das ist aber aufschlußreich“, konstatierte der vigilante Anwalt eloquent.

„Was sollte das denn?“, begehrte seine Lebensabschnittspartnerin zu wissen.

„Und dadurch fingen die Vorhänge Feuer“, rekonstruierte Herr Schneider mit analytischem Instinkt zielsicher den Unfallhergang.

Diese Begleitsätze sind oft umständlich, mit Fremdwörtern und gehobenen Ausdrücken gespickt und lenken die Aufmerksamkeit auf sich. Statt den üblichen Verben sagen, fragen oder antworten stehen möglichst ungewöhnliche wie resümieren, elaborieren oder echauffieren.

Begleitsätze sollen die wörtliche Rede unterstützen, aber nicht die Aufmerksamkeit an sich reißen. Abgesehen davon reißen sie aus dem Lesefluss, weil man sich fragt: „Soll ich vigilant1aufmerksam jetzt nachschlagen oder ignoriere ich das einfach?“ Diese Begleitsätze wirken meist zu bombastisch für die wörtliche Rede, zu der sie gehören.

Verwenden kann man sie dagegen, wenn der Erzähler sich über jemanden lustig machen will:

„Das war blöd“, erhellte Lisa uns mit ihrer Weisheit.

Aber auch das verliert seine Wirkung, wenn es zu häufig eingesetzt wird.

Die Aussage der wörtlichen Rede wiederholende Begleitsätze

Manche Autor*innen scheinen zu befürchten, dass ihren Leser*innen die Bedeutung der wörtlichen Rede entgehen könnte. Um auf Nummer sicher zu gehen, schreiben sie einen Begleitsatz, der die Aussage noch einmal erläutert.

„Danke“, erwiderte sie mit einem dankbaren Blick.

Georgette Heyer: Heiratsmarkt

Oder:

„Nieder mit dem Kapitalismus!“ Birtes leidenschaftlicher Aufruf machte ihre politische Ansicht nur allzu deutlich.

Und was ist mit: „Oh ja!“ Rumo nickte.

Weil diese Doppelung unnötig ist, wir aber wissen wollen, wie Rumo auf Smeiks Frage reagiert, hat Walter Moers stattdessen klugerweise nur Rumo nickte geschrieben.

Die wörtliche Rede sollte eindeutig sein. Und wenn sie eindeutig ist, bedarf sie keiner Wiederholung im Begleitsatz. Denn diese ist dann nicht nur unnötig, sondern ruft auch Langeweile hervor. Wir bekommen schließlich etwas noch einmal präsentiert, was wir bereits wissen.

Fallen euch noch andere Arten von Begleitsätzen zur wörtlichen Rede ein, die man vermeiden sollte?

Ihr habt den ersten Teil verpasst? Dann klickt hier:

Im dritten Teil geht es mit den Begleitsätzen weiter, die Dialoge bereichern.

Begleitsätze zur wörtlichen Rede

Zwei Meisen unterhalten sich an einer Vogeltränke

Ihr habt sicher schon oft Tipps dazu gesehen, wie man glaubwürdige Dialoge schreibt. Aber wie steht es mit Ratschlägen zu den Sätzen, die die wörtliche Rede begleiten? Diese Begleitsätze sind keine reine Dekoration, sondern erfüllen eine wichtige Funktion. Sie können eine Menge dazu beitragen, eine Geschichte interessant zu gestalten, und man sollte die Möglichkeiten nutzen, die sie bieten. Darum solltet ihr auch ihnen viel Aufmerksamkeit widmen.

Was ist ein Begleitsatz zur wörtlichen Rede?

Zwei Meisen unterhalten sich an einer Vogeltränke„Hat Poirot noch nach anderem gefragt?“, erkundigte ich mich.

Agatha Christie: Alibi

Bei erkundigte ich mich handelt es sich um einen solchen Satz, genau wie bei sagte er, antworteten sie etc. Das ist die kürzeste Form.

Das ist eine längere Version eines Begleitsatzes mit zusätzlichen Informationen:

„Die Abendpost, Sir“, sagte er und überreichte Ackroyd das Tablett mit den Briefen.

Agatha Christie: Alibi

Begleitsätze, die mit einem Verb des Sprechens an die wörtliche Rede angehängt sind, werden auch Inquit-Formel genannt.

Aber der Begleitsatz muss nicht an eine wörtliche Rede angeschlossen sei, er kann einen selbstständigen Satz bilden wie hier:

„Bist du bereit, die größte und älteste Geschichte Zamoniens zu hören, mein Sohn?“

Rumo nickte.

„Sie ist Milliarden von Jahren alt.“ Smeik wedelte dramatisch mit seinen vierzehn Armen.

Walter Moers: Rumo und die Wunder im Dunkeln

Rumo nickte ist ein Begleitsatz zur wörtlichen Rede, genau wie Smeik wedelte dramatisch mit seinen vierzehn Armen.

Die Relevanz von Begleitsätzen

Es gibt viele Gründe, Dialoge in Begleitsätze einzubetten. Sie sorgen dafür, dass ein Roman nicht wie ein Theaterstück wirkt, indem sie die wörtliche Rede auflockern. Dafür, dass man weiß, wer redet, vor allem dann, wenn mehr als zwei Personen sprechen. Oder sie vermitteln Kontext: Wo und wann spielt das Ganze? Was ist das für eine Person, die da spricht? Was passiert währenddessen drumherum? Die Sätze können das Gesagte auch konterkarieren, wenn die Mimik und Gestik der Sprecherin etwas anderes auszudrücken scheinen als ihre Worte.

Jetzt enthält ein Roman normalerweise viele Dialoge – wie soll man da nur lauter bedeutungsvolle Begleitsätze finden? Das ist zum Glück nicht nötig. Oft reicht ein einfaches sagte er oder fragte sie, sonst können die Begleitsätze zu sehr von der wörtlichen Rede ablenken. Es geht also auch darum, zu entscheiden, wann man welche Art von Begleitsatz wählt. Das führt uns zur nächsten Frage: Was für Begleitsätze zur wörtlichen Rede gibt es?

Die Arten von Begleitsätzen

Ich unterscheide verschiedene Arten von solchen Sätzen:

  • schlichte Begleitsätze
  • Aufmerksamkeit heischende Begleitsätze
  • Lückenfüllersätze
  • die wörtliche Rede wiederholende Begleitsätze
  • Begleitsätze, die etwas über die Charaktere mitteilen
  • Begleitsätze, die die wörtlichen Rede mit der Handlung verschränken
  • Begleitsätze, die die Umgebung/Atmosphäre zeigen
  • Begleitsätze, die Spannung aufbauen

Dass Smeik beim Geschichtenerzählen dramatisch mit seinen vierzehn Armen wedelt, kann ausdrücken, dass er gern im Mittelpunkt steht oder dass er Freude daran hat zu erzählen (und wie er aussieht, falls wir noch nicht wussten, dass er vierzehn Arme besitzt).

Dass eine Person Ackroyd seine Briefe auf einem Tablett bringt, sagt uns einmal, dass es sich bei der Person um einen Bediensteten und bei Ackroyd um einen wohlhabenden Mann handelt, der sich sowohl Bedienstete als auch einen gehobenen Lebensstandards leisten kann1Oder besitzt ihr Tabletts für eure Post?.

Und sagte er ist ein schlichter Begleitsatz, einer ohne unnötigen Schnickschnack.

Ihr wollt mehr darüber wissen? Was es genau mit den verschiedenen Arten auf sich hat, wann man welche einsetzt und welche man meiden sollte? In den nächsten Wochen und Monaten werde ich weitere Beiträge dazu veröffentlichen.