Gerade die, die erst vor Kurzem mit dem Schreiben angefangen haben, wissen häufig nicht genau, was Lektor*innen leisten. Ich will daher versuchen, unsere vielschichtige Arbeit näher zu erklären.
Ich beschreibe meine Aufgabe als freiberufliche Lektorin, wenn andere fragen, was ich tue, oft als: „Ich sage Autor*innen, was sie besser machen können.“1Ich sage auch, dass ich Lektorin geworden bin, weil es einfacher ist, Texte zu kritisieren, als es selbst besser zu machen. Es gehört aber natürlich viel mehr dazu, denn es ist auch meine Aufgabe, ihnen zu sagen, warum ich denke, dass es anders besser wäre, wie sie es besser machen können und was sie richtig machen. Am liebsten ist es mir natürlich, wenn sie meinen Vorschlägen folgen, aber sie haben – schließlich ist es ihr Text – immer das letzte Wort.
Was heißt das nun konkreter?
Erst einmal, dass ich mich dennoch bei einem Lektorat mehr auf das fokussiere, was in einem Text schiefläuft. Ob es dabei darum geht, dass das rote T-Shirt der Hauptfigur plötzlich ein grünes Kleid ist, die Vierjährige wie eine Professorin für Experimentalphysik klingt oder der Ich-Erzähler manchmal zum Er-Erzähler wird. Da sieht ein Text schnell rotgetränkt aus.2Selbst in vielen meiner Lieblingsbücher finde ich Stellen, die ich optimieren möchte.
Ich möchte damit niemanden entmutigen. Ich weiß auch, dass es nicht unbedingt leicht ist, mit Kritik am eigenen Text umzugehen, auf den man wahrscheinlich stolz ist. In den meisten Fällen ist es aber nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn Schreibende haben normalerweise ein paar „Lieblingsfehler“, die sich durch das ganze Manuskript ziehen. Ich merke einfach dasselbe Problem immer wieder an. Der Hang zu Füllwörtern ist dabei z. B. nicht besonders schwerwiegend und schnell zu beheben.
Zum anderen sind ein Teil meiner Kommentare auch Nachfragen wie: „Meinen Sie, dass Maxim in dieser Situation so ruhig bleibt? Ich bin nicht sicher, ob das zu ihm zu passt, wo er doch sonst schnell wütend wird“ oder: „Gab es 1912 schon Teebeutel?“ Manches erledigt sich (beinahe) von selbst: Meine Kundin hat recherchiert, dass es Teebeutel gab, und nachdem sie einen Nebensatz eingefügt hat, wird nachvollziehbar, warum Maxim dieses Mal gelassen bleibt.
Gibt es noch andere Aufgaben, die Lektor*innen übernehmen?
Dazu gibt es verschiedene andere Dienstleistungen, die wir neben dem klassischen Lektorat im Portfolio haben können: Unterstützung im Schreibprozess, Texten, Vermittlung an Literaturagenturen, Hilfe bei der Wahl einer Selfpublishing-Plattform, Erstellung des Buchsatzes, Lektorat des Exposés, mit dem man sein Manuskript bei einem Verlag einreicht, oder Fortbildungen.
Ein Lektorat beinhaltet im Normalfall zwar kein Korrektorat, aber ich entferne während des Lektorats Flüchtigkeits- und leicht zu erkennende Fehler. Ein richtiges Korrektorat wird aus meiner Sicht erst nach dem Lektorat durchgeführt. Es bieten jedoch nicht alle von uns Korrektorate an.
Kann man sein Manuskript nicht selber lektorieren?
Vielleicht meint man, dass man auf ein Lektorat verzichten kann. Aber das ist ein Irrtum.3Selbst Bestsellerautoren würden das Lektorat nicht auslassen. Nachdem man so viel Zeit mit seinem Manuskript verbracht hat, sieht man nicht mehr, wo die Schwächen liegen. Man hängt viel zu sehr an liebgewonnenen Landschaftsbeschreibungen, Vergleichen oder Charakteren, um zu erkennen, dass diese den Lesefluss aufhalten, hinken oder keine echte Funktion für die Handlung haben. Dafür bin ich da.
Es macht dennoch Sinn, das eigene Manuskript zu überarbeiten, bevor man es ins Lektorat gibt. Mit etwas Abstand sieht man schon den ein oder anderen Mangel. Aber spätestens für den Feinschliff bedarf es einer externen Instanz.
Als Lektorin weise ich auf grundlegende und weniger grundlegende Probleme im Text hin, damit diese nicht in zwanzig (oder hundert) Rezensionen auf Amazon thematisiert werden. Damit das Buch erfolgreich wird. Damit meine Kund*innen dazulernen, sodass beim nächsten Manuskript weniger zu überarbeiten ist. Ich begreife es als meine Aufgabe, unangenehme Dinge zu sagen, um es Schreibenden zu ermöglichen, das Beste aus sich und ihrem Manuskript herauszuholen.
Aber wie erwerben Lektor*innen ihre Expertise?