Schreiben oder plotten?

Plotten oder Drauflosschreiben? Eine Karte mit Stecknadeln gibt Orientierung.

Stephen King ist ein entschiedener Verfechter davon, die Geschichte während des Schreibens zu entdecken, Ken Follett und Syd Field sind entschiedene Verfechter davon, die Geschichte zu plotten. Auch ich bin schon gefragt worden, welche Einstellung ich vertrete.

Plotten? Drauflosschreiben? Das ist Typsache

Plotten oder Drauflosschreiben? Eine Karte mit Stecknadeln gibt Orientierung.Beides hat seine Vor- und Nachteile. Wenn man die ganze Geschichte schon vor dem Schreibprozess kennt, kann einem beim Schreiben langweilig werden oder man muss vieles umschmeißen, wenn einem beim Ausarbeiten neue, vielversprechendere Ideen kommen. Wenn man einfach drauflosschreibt, mäandert die Geschichte eventuell vor sich hin, sodass man am Ende sehr viel streichen muss, oder man landet in einer Sackgasse.

 

Ich finde daher nicht, dass es nur eine legitime Vorgehensweise gibt. Besser zu viel schreiben und später einige Kapitel streichen müssen, als gar nicht zu schreiben, weil das Plotten einem den ganzen Spaß daran nimmt. Und wenn man sich nun mal, ohne vorher zu plotten, ständig in den unendlichen Möglichkeiten verirrt, die eine Geschichte bietet, dann plant man eben alles im Vorhinein. Oder nutzt die Grauzone dazwischen – die Wendepunkte plotten, den Rest entdecken; die Hauptfigur, ihre Motivation und Ziel festlegen, aber wie sie dahinkommt, der Figur überlassen …

Aber das Verständnis für Story Structure sollte da sein

In beiden Fällen ist es nur wichtig, dass ein Verständnis für Story Structure an sich da ist. Denn auch wer intuitiv schreibt, achtet dann schon im Prozess darauf, eine Struktur zu entwickeln, merkt, wenn die Geschichte auf der Stelle tritt oder die Klimax zu überstürzt kommt.

Und egal ob man geplottet oder die Geschichte schreibend entdeckt hat, sollte man den ersten Entwurf auf seine Struktur überprüfen. Auch beim Plotten kann sich der Midpoint zu weit nach hinten verschieben, wenn Szenen davor zu lang geworden sind, und Vorausdeutungen können fehlen.

Lasst euch auf jeden Falll nicht einreden, dass es nur einen richtigen Weg gibt zu schreiben. Wir sind verschieden, warum sollte es also nur eine Methode fürs Schreiben geben, die für alle funktioniert? Solange am Ende eine spannende Geschichte herauskommt, ist es mir gleich, ob ihr sie beim Schreiben entdeckt oder vorher geplottet habt.

Ihr wollt tiefer einsteigen? Bitte hier entlang

Eine gute Anleitung für entdeckendes Schreiben findet ihr bei Steven James „Story Trumps Structure“. Allerdings kann ich das Buch nur für Fortgeschrittene empfehlen, weil James davon ausgeht, dass seine Leser*innen mit Story Structure und der Drei-Akt-Struktur vertraut sind.

K. M. Weiland hat mehr Bücher zum Plotten geschrieben, als ich wahrscheinlich Artikel dazu verfassen werde. Auf ihrem Blog gibt es eine Serie zum Thema.

Es war einmal … und dann passierte … und so endete es

Ein Irrgarten aus grünen Hecken: Eine gute Story Structure hilft, der Handlung zu folgen.

Wie erzählen wir Geschichten? Wie bauen wir sie auf? Das Thema Story Structure lässt mich seit ein paar Jahren nicht mehr los. Wenn wir anderen von unseren Erlebnissen berichten, dann strukturieren wir diese Erzählung, auch wenn es uns nicht bewusst ist, und zwar immer wieder nach den gleichen Mustern. Von der Heldenreise haben sicher viele von euch schon einmal gehört, im Westen beliebt sind außerdem die Drei-Akt-Struktur und das Beat Sheet, im Osten herrscht die Vier-Akt-Struktur vor, in China als Qi Cheng Zhuan Jie, in Japan als Kishōtenketsu bekannt.

Diese Modelle mögen unterschiedlich sein, aber es gibt einige Gemeinsamkeiten. Bevor ich also Blogartikel über verschiedenen Modelle schreibe, möchte ich anhand dieser Gemeinsamkeiten erklären, was Story Structure ist.

Logischer Ablauf

Eine Insel ist wie der Schädel eines Tyrannosaurus Rex geformt, wobei der vordere Teil unter Wasser ist. Story Structure sorgt in einer Geschichte für Spannung.Bei der Errichtung eines Vergnügungsparks wird ein Arbeiter durch einen Dinosaurier tödlich verletzt. Daraufhin werden drei Wissenschaftler eingeladen, um dessen Sicherheit zu untersuchen. Die Tour verläuft zunächst nach Plan, aber dann legt der Informatiker, der für eine Konkurrenzfirma spioniert, den Park lahm, um Dino-Embryos zu stehlen. Die Dinosaurier brechen aus und alle Besucher der Insel kämpfen um ihr Leben. Es gelingt, die Computersysteme wieder ans Laufen zu bekommen. Die Überlebenden verlassen die Insel.

Romeo trifft Julia und verliebt sich unsterblich. Doch ihre Familien sind verfeindet und dürfen nicht von ihrer Liebe erfahren. Sie heiraten heimlich, aber Julias Familie will sie dazu zwingen, Paris das Ja-Wort zu geben. Julia täuscht ihren Tod vor, um dem zu entgehen. Romeo, den die Nachricht nicht rechtzeitig erreicht, dass es nur ein Scheintod ist, bringt sich an ihrem Grab um. Als Julia erwacht, findet sie den toten Romeo und erdolcht sich.

Fällt euch etwas auf? Geschichten werden typischerweise chronologisch erzählt. Aber warum? Damit die Zuhörenden, Zuschauenden oder Lesenden folgen können. Die Ereignisse sind in einer logischen Reihenfolge angeordnet, eins ergibt sich aus dem anderen. Geschichten müssen nicht chronologisch erzählt werden, aber die meisten tun es. Story Structure ist logischer und daher meist chronologischer Ablauf.

Fokussierung

Sowohl Romeo als auch Julia verbringen ihren Tag noch mit vielen anderen Dingen, als sich nach dem anderen zu sehnen und sich heimlich zu treffen. Auf dem Flug zum Jurassic Park haben alle eine Menge Zeit, sich zu unterhalten, aber wir bekommen davon nur ein paar Minuten Dialog mit. Die, in denen wir den dritten Wissenschaftler kennenlernen und seine Zweifel an dem Vorhaben.

Ein Irrgarten aus grünen Hecken: Eine gute Story Structure hilft, der Handlung zu folgen.Der Fokus liegt auf dem, was für die Handlung relevant ist. Vielleicht hat Ian Malcolm während des Flugs eine amüsante Geschichte über die letzte Konferenz, die er besucht hat, zum Besten gegeben, aber wenn diese Anekdote nichts mit der Handlung und dem Thema des Films zu tun hat, sorgt sie nur dafür, dass man sich fragt, worum sich die Geschichte drehen soll. In einer guten Story Structure sorgt der Schreibende dafür, dass der rote Faden nicht verlorengeht und leitet sein Publikum sicher vom Anfang zum Ende.1Für uns von westlich Geschichten geprägte Menschen kann es erscheinen, als wären asiatische Geschichten weniger fokussiert.

Spannung

Spannung erreicht man zum einen über Fokussierung – wer will schon wissen, was Julia jeden Morgen zum Frühstück isst, oder dreißig Minuten Alan Grant und Ellie Sattler dabei beobachten, wie sie ein Dinosaurierskelett ausgraben?

Story Structure ist, die Erzählung so anzuordnen, dass sie spannend ist: Dinge zu verheimlichen, Andeutungen zu machen, aber nicht aufzulösen, und immer wieder überraschende Wendungen einzubauen, die der Geschichte eine neue Richtung geben. Denn wenn wir das zwanzigste Mal sähen, wie der T-Rex plötzlich aus dem Wald hervorbricht und Alan Grant und die beiden Kinder jagt, ist es nicht mehr spannend, sondern langweilig. Story Structure ist daher, rechtzeitig etwas Unerwartetes passieren zu lassen, damit die Geschichte spannend bleibt.

Wendepunkte

Ohne den tödlichen Unfall zu Beginn gäbe es keine Sicherheitsüberprüfung des Jurassic Park. Ohne den Ausfall der Systeme im Park könnte der T-Rex nicht aus seinem Gehege entkommen, die Fahrzeuge der Besucher angreifen und einen netten Ausflug in einen Kampf ums Überleben verwandeln.

Als Romeo sich in Julia verliebt, gibt das seinem Leben eine Wendung. Als Julia erfährt, dass sie Paris heiraten soll, zwingt das die Liebenden, eine Entscheidung zu treffen. Sie können nicht weitermachen wie bisher.

Dieses Unerwartete, das das Leben der Protagonisten durcheinanderwirbelt, sind Wendepunkte und sie treiben die Handlung voran. Modelle zu Story Structure konzentrieren sich auf diese Wendungen. Ohne sie gäbe es keine Geschichte. Verliefe der Besuch des Jurassic Parks problemlos, bekäme das Vorhaben grünes Licht und er wäre im nächsten Jahr eröffnet worden. Wären die Familien von Romeo und Julia nicht verfeindet, hätte das Stück nicht mit ihrem Tod geendet. Wendungen müssen keine Probleme darstellen, sie können auch etwas Positives sein. Entscheidend ist nur, dass sie der Erzählung eine neue Richtung geben.

Ich hoffe, ich konnte damit ein grundlegendes Verständnis für Story Structure schaffen. Da mich Story Structure unglaublich fasziniert, werden zu diesem Thema wahrscheinlich mehr Artikel folgen als zu jedem anderen. Und die noch tiefer einsteigen und dabei selbst Gelegenheit zum Üben haben wollen, denen empfehle ich meine Fortbildungen dazu.